Die Schuldenbremse verliert ihren Rückhalt
Die staatliche Schuldenbremse gerät immer stärker unter Druck. Dabei spielt eine Rolle, dass die Tugend der Sparsamkeit unter den Wählern (auch) hierzulande bröckelt.
Das ist die staatliche Schuldenbremse: in den meisten Ländern unbekannt, in Deutschland zunehmend unsicher und auch hierzulande seit einiger Zeit angezweifelt. Die Fluchttore in eine höhere Staatsverschuldung öffnen sich. Beim Nachbarn im Norden sieht selbst die Bundesbank einen wie auch immer gearteten «Reformbedarf», ebenso der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz von der CDU. Die SPD ist sowieso schon lange dafür. Das Land ist ein Beispiel dafür, was geschieht, wenn Investitionen über Jahre vernachlässigt werden. Jetzt ist die Not in der Infrastruktur, im Militär, im Verkehr und in der Energieversorgung so stark, dass mit der grossen Kelle angerührt werden muss. Ob dabei auf Staatsanleihen oder auf den Tarnanzug der Sondervermögen zurückgegriffen wird, ist letztlich einerlei. Merz rückt wegen der riesigen Herausforderungen in der europäischen Verteidigung inzwischen sogar vorsichtig von seinem Veto gegenüber weiteren gemeinsamen EU-Schulden ab.
Private Sparsamkeit zählt beim Staat nicht
Immerhin: Unter den G-7-Industriestaaten hält Deutschland den Kreditmoloch mit einer Schuldenquote von knapp 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bisher weitaus am besten im Zaum. In den USA hat sich der Schuldenberg in 15 Jahren mehr als verdreifacht auf über 36 Billionen Dollar. Das entspricht brutto rund 120 Prozent des BIP. Werte über 90 Prozent gelten in Fachkreisen als Warnzeichen. Trotz des rabiaten Bürokratieabbaus unter Trump und Musk werden die Schulden auch dieses Jahr weiter deutlich wachsen. Erstmals zahlt die Regierung mehr für Zinsen als für die Verteidigung.
Jürgen Dunsch, WirtschaftsjournalistIn den USA hat sich der Schuldenberg in 15 Jahren mehr als verdreifacht auf über 36 Billionen Dollar. Das entspricht brutto rund 120 Prozent des BIP. Werte über 90 Prozent gelten in Fachkreisen als Warnzeichen.
Die Frage liegt nahe: Warum ist Sparsamkeit, privat eine Tugend, im staatlichen Sektor so schwierig? Müsste sie nicht auf breite öffentliche Unterstützung stossen? Offenbar tut sie das nicht, auch nicht in der Schweiz. Das Sparpaket des Bundesrates hat einen schweren Stand. Das Lobbying diverser Interessengruppen kann nicht allein dafür verantwortlich sein. Auch die Tatsache, dass Parlamentarier gerne finanzielle Wahlgeschenke verteilen und dafür Schulden leichthin in Kauf nehmen, ist nichts Neues. Geht es um grössere Beträge, werden sie immer öfter als «Zukunftsinvestitionen» verkauft. Dagegen kann doch niemand etwas haben, Widerstand ist zwecklos. Spare in der Zeit, so hast Du in der Not: Das Sprichwort kennen alle. Private Schuldner spüren die Folgen ihrer Grosszügigkeit in den Kreditkosten direkt und unmittelbar. So weit, so klar. Im staatlichen Sektor tauchen sie jedoch ab. Die Linie von mehr Ausgaben zu höheren Steuern verschwimmt. Ausgaben und Schulden sind jetzt, die Belastung erfolgt hoffentlich am St. Nimmerleinstag. Man hofft, ein starkes Wirtschaftswachstum werde es richten. Es geht sogar noch toller. Das Volk hat die 13. AHV-Rente mit klarer Mehrheit beschlossen, die Verantwortung für die Finanzierung indessen offengelassen.
Das grosse Umdenken unter den Bürgern
Klagen nützt wenig. In der Wählerschaft vollzieht sich ein Umdenken. Schulden werden auch privat leichter in Kauf genommen, für die nächste grosse Reise, für das neue Auto, für die kleinen Fluchten in den Luxus an dem einen oder andere Wochenende. In einer milderen Form begnügt man sich mit geringeren Einkünften, etwa zugunsten einer angenehmeren Work-Life-Balance. Sparen stört da nur. Zugleich sind die Ansprüche an den Staat gestiegen. Aus der blanken Not ist die gefühlte Benachteiligung geworden. Da nimmt die private gern von der öffentlichen Hand, zumal dann, wenn auf den Chefetagen offenbar vielfach abgesahnt wird. Jetzt sind auch wir dran, heisst es immer lauter. Dass Gesundheit und höhere Lebenserwartung einen stärkeren Tribut seitens der Bürger fordern, schiebt man im grossen «Wünsch Dir was» locker zur Seite. Roland Berger, Altmeister der Regierungs- und Unternehmensberatung in Deutschland, stellt fest, zumindest in den vergangenen 15 Jahren habe sich die Politik in Berlin einseitig dem Ausbau sozialer Wohltaten gewidmet. Was zählte, waren mehr Staat und Versorgung und weniger Markt und Innovation bei steigenden Steuern. Eine solche Prioritätensetzung führt in die Irre. Hierzulande wäre das nicht anders.