Von Bullen und Bären

Als Bullen werden Anleger bezeichnet, die für die Börsen optimistisch sind, die auf den Aufschwung setzen. Sie sind «bullish». Bären sind hingegen pessimistisch, erwarten sinkende Märkte. Sie sind «bearish».

Das Marktumfeld bietet aktuell beiden Lagern Argumente für ihre jeweilige Sichtweise. Das ist natürlich oft so, nur scheint dies derzeit ausgeprägt. Fangen wir – um den Beitrag dann mit einer positiven Note zu beenden – mit den kritischen Faktoren an.

Eine Gegenbewegung an den Aktienmärkten war nach dem schlechten 2022 zu erwarten gewesen. Das Ausmass überrascht hingegen, liegen doch viele Indizes zweistellig im Plus, seit dem Tiefpunkt vom letzten September deutlich mehr. Und dies, obwohl sich das Gewinnwachstum abschwächt oder – wie in den USA – die Gewinne der Unternehmen zurückgehen und die laufende Konjunkturabschwächung für die Unternehmensergebnisse nicht förderlich ist. Die Hausse am amerikanischen Markt wird im Wesentlichen von fünf Titeln getragen: Microsoft, Apple, Meta, Alphabet und der Highflyer der letzten Woche, Nvidia, sind für den Grossteil der Avance des S&P 500 in diesem Jahr verantwortlich. Für Anleger, die in den Index investiert sind, ist das im Grunde egal, doch ist die fehlende Marktbreite in der Regel kein gutes Zeichen. Ausserdem ist die Situation im US-Bankensektor noch nicht ausgestanden, auch wenn es diesbezüglich zuletzt ruhig geworden ist. Diese kritischen Faktoren treffen auf einen absolut nicht günstigen und relativ zu Obligationen hoch bewerteten Aktienmarkt. Die Anleger scheinen dies jedoch vergleichsweise entspannt zu sehen, was sich etwa an der «Gier», gemessen am «CNN Fear & Greed Index», ablesen lässt oder an der tiefen Volatilität. Beides sind allerdings eher Kontraindikatoren, heisst: Ist die Stimmung zu gut oder sorglos, spricht das nicht für einen weiteren Anstieg.

Die Situation im US-Bankensektor noch nicht ausgestanden, auch wenn es diesbezüglich zuletzt ruhig geworden ist.

Thomas Heller, Chief Investment Officer, Belvédère Asset Management

Immerhin – und damit wechseln wir ins Bullenlager – scheint der Streit um die Schuldenobergrenze in den USA nun vom Tisch, womit ein potenziell belastender Faktor wegfällt. Gemäss Umfragen sind zudem viele Anleger in Aktien noch untergewichtet und halten hohe Cash-Bestände. «Trockenes Pulver», das in die Märkte fliessen könnte. Positiv darf man sicherlich auch werten, dass die zuvor erwarteten Leitzinssenkungen in den USA jüngst mehrheitlich wieder ausgepreist wurden, ohne die Märkte zu belasten, wie dies die Bären befürchteten. Optimisten führen ins Feld, dass von den Zinsen keine weitere Belastung für die Märkte zu erwarten ist, weder vom kurzen noch vom langen Ende. Sollten die Realzinsen (Nominalzinsen abzüglich Inflation) ins Positive drehen, könnten sogar Zinssenkungsphantasien doch wieder ins Spiel kommen und die Märkte beflügeln. Zuversichtlich stimmt neben der jüngsten Stabilisierung der Gewinnerwartungen eine Auswertung der Carson Group: Nach einem Plus von über 8% in den ersten 100 Handelstagen (2023: +8.9%) ist der S&P 500 danach in 86% der Fälle bis Ende Jahr weiter gestiegen!

Letztlich ist es eine Frage der Gewichtung der positiven und negativen Faktoren, welche die Markteinschätzung und somit Positionierung in den Portfolios bestimmen. Noch halten wir an unserer neutralen Aktiengewichtung fest. Und Sie, sind Sie «bullish» oder «bearish»?