Rüstungsaktien: Eine staatlich garantierte Börsenrally

Die militärische Aufrüstung kennt an den Finanzmärkten einen klaren Gewinner. Die Börsenkurse von Rüstungsaktien überwinden offenbar alle Grenzen. Risiken sind ein Fremdwort.

Jenseits aller Börsenturbulenzen haben sich Rüstungsaktien in der jüngeren Vergangenheit zu echten Highflyern gemausert. Dies gilt nicht zuletzt in Europa, Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine und die Bedrohung der westlichen Länder sind die wesentliche, wenn auch nicht die einzige Ursache. Der amerikanische Präsident macht den Europäern ihre unterfinanzierten Verteidigungsanstrengungen schmerzlich bewusst. Aufrüstung ist das Gebot der Stunde, und die Börsenkurse spiegeln das wider. Der jüngste Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. 2024 zogen die Militärausgaben global weiter um nicht weniger als 9,4 Prozent auf den neuen Rekordwert von gut 2,7 Billionen US-Dollar an. Mit Ausgaben von 88,5 Milliarden Dollar, einem Plus von 28 Prozent, rückte dabei Deutschland von Rang 7 im Vorjahr auf Rang 4 vor.

Es mutet ein wenig skurril an, dass Aktien die grossen Gewinner sind, die nicht von der Freiheit der Finanzmärkte zehren, sondern von den grossen Ausgabenprogrammen der Nato-Staaten.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftjournalist

Da verwundert der Höhenflug des führenden Dax-Rüstungsunternehmens Rheinmetall nicht. Vor drei Jahren noch bei 200 Euro gehandelt, liegt der Kurs nunmehr bei mehr als 1500 Euro. Allein seit Jahresbeginn verzeichnet er ein schwindelerregendes Plus von gut 140 Prozent. Die beiden anderen Branchenvertreter Hensoldt und Renk Group schaffen eine Verdoppelung beziehungsweise sogar fast Verdreifachung. Und auch im übrigen Europa herrscht Kaufeuphorie. Thales in Frankreich legten in diesem Jahr bisher um 75 Prozent zu, Leonardo in Italien ungefähr genauso viel. Die britische BAE Systems mit ihrer starken Sicherheitssparte brachte es auf immerhin gut 50 Prozent.

Staatsschulden treiben die Kurse
Es mutet ein wenig skurril an, dass Aktien die grossen Gewinner sind, die nicht von der Freiheit der Finanzmärkte zehren, sondern von den grossen Ausgabenprogrammen der Nato-Staaten. Die Versuchung, sich an die mehrjährigen Ausgabenströme staatlicher Schuldenprogramme zu hängen, schlägt alles andere. Selbst Nachzügler wie Spanien, Belgien und Italien wollen ihre Verteidigungskraft steigern. Dies und der langfristige Charakter der staatlichen Schuldenaufblähungen haben die Bewertungen von Rüstungsaktien weit jenseits normaler Bewertungsmassstäbe getrieben. Die erreichten Höhen schmälern zwangsläufig die Dividendenrenditen und verschärfen die Absturzgefahren der Aktien. Diese können dann virulent werden, wenn die Märkte den langen Vorlauf von Rüstungsvorhaben unterschätzen. Nicht nur das. Gerade im Rüstungssektor mit seinen komplexen Lieferverträgen und deren jahrelangen Laufzeiten seien Abhängigkeiten von einzelnen, marktmächtigen Spielern eine besondere Gefahr, warnte unlängst die Monopolkommission in Deutschland. Der Wettbewerb droht zu leiden, die Marktführer drohen fett und träge zu werden.

Rüstungsunternehmen haben unter Anlegern längst ihr Schmuddelimage der Kriegstreiberei abgelegt.

Jürgen Dunsch

Dessen ungeachtet werden neue Spieler versuchen, sich in Stellung zu bringen. Der deutsch-französische Panzerhersteller KNDS wird als heisser Börsenkandidat gehandelt. Aus Tschechien heraus ist die Czechoslowak Group (CSG) dabei, eine Europa-Gruppe für Munition zu schmieden. Ein Beispiel für verstärkte Konkurrenz bietet die Produktion der für die Ukraine wichtigen und in der gesamten Nato dringend benötigten 155 Millimeter-Granaten. Als BAE Systems im April eine Vervielfachung der Produktion ausrief, geriet die Rheinmetall-Aktie sofort, wenn auch nur kurzzeitig unter Druck. Auch CSG hat einen kräftigen Ausbau der Artilleriemunition angekündigt.

Wie schnell entstehen neue Kapazitäten?
Rüstungsunternehmen haben unter Anlegern längst ihr Schmuddelimage der Kriegstreiberei abgelegt. Viel grösser ist das Problem, dass die Auftragsflut in Europa auf begrenzte Kapazitäten trifft. «Die Vorstellung, dass grosse staatliche Investitionsprogramme einfach brachliegende Ressourcen aktivieren, ist ein Mythos», warnt der St. Galler Ökonomieprofessor Reto Föllmi. Überzählige Arbeitnehmer in der deutschen Automobilindustrie werden es allein nicht richten. Das rasche Umsteuern auf mehr Aufrüstung in Europa ist ein schwieriger Prozess, das Verschleudern der neuen staatlichen Schulden eine Gefahr. Völlig offen erscheint auch, welche Rolle die übermächtigen amerikanischen Konzerne spielen werden. Aufträge in das Land von Trump würden gegen Handelsbilanzüberschüsse helfen. Den «Nokia-Moment» des raschen Verdrängens aus marktstarken Positionen müssen die europäischen Rüstungsgruppen vorerst nicht befürchten. Eher heisst es Feuer frei für noch höhere Börsenkurse. Die 52-Wochen-Hochs und selbst neue Rekordwerte sind vielerorts mehr als nur in Griffweite.

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