Die Jahre des stillen Wirtschaftsaufstiegs Chinas sind vorbei – Teil 1 von 2

China ist für die Weltwirtschaft und die geopolitische Weltordnung nicht mehr wegzudenken. Vor den Marktliberalisierungen der 1980er Jahre war das Reich der Mitte kaum an dem internationalen Wertschöpfungsprozess beteiligt. Vierzig Jahre später ist China zur zweitgrössten und gemessen am Gesamtvermögen reichsten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Der Aufstieg kommt jedoch auch mit seinen Schattenseiten, welche die geopolitische Volatilität in den Vordergrund rücken könnten.

Das moderne Wirtschaftswunder des chinesischen Aufstiegs zur Weltmacht wurde bekanntlich durch zwei Faktoren ermöglicht. Der bekannteste Faktor ist der direkte Fokus auf den Ausbau der Konkurrenz- und Exportfähigkeit der heimischen Industrie, welcher es aufgrund eines breiten Niedriglohnsektors möglich machte, die Nachfrage der entwickelten Welt nach preisgünstigen Waren zu stillen. China wurde ins Bewusstsein des globalen Konsumenten gerufen. Spezielle Wirtschaftszonen brachten ausländisches Kapital und Technologien ins Land, welche die Bevölkerung in Städte zogen und die Durchschnittseinkommen in die Höhe drückten.

Immenser Immobilienboom trotz schwächster Bevölkerungsrate seit 50 Jahren
Ein weiterer Faktor ist die staatliche Förderung des Immobilienmarkts, die sich als die perfekte Möglichkeit erwies, um die Migration der Bevölkerung vom Land in die Stadt zu unterstützen. Höhere Einkommen wurden investiert und führten durch steigende Immobilienpreise zu einem parallelen Anstieg der Vermögen. Laut Berechnungen von McKinsey war China allein für einen Drittel der weltweiten Vermögensschaffung der letzten 20 Jahre verantwortlich. Und obwohl das Land 2020 aufgrund der Pandemie die schwächste Bevölkerungsrate der letzten 50 Jahre verzeichnen musste, baut die Wirtschaft weiterhin fünf Mal mehr Häuser pro Jahr als die Vereinigten Staaten und Europa zusammengenommen.

Die Vorsicht der chinesischen Notenbank, den bereits hoch verschuldeten Immobiliensektor weiter mit Liquiditätsspritzen zu unterstützen, hat den Yuan auf das höchste Niveau seit 2015 getrieben.

Boris Kovacevic, Leiter Währungs- und Makroanalyse, Western Union Business Solutions

Was passiert jedoch, wenn die Nachfrage nach Einfamilienhäusern und Wolkenkratzern aufgrund einer alternden Bevölkerung und einer eintretenden Sättigung nicht mehr gegeben ist? Insbesondere vor dem Hintergrund der finanziellen Schwierigkeiten des zweitgrössten Immobilienunternehmens Chinas, Evergrande, hat die Thematik innenpolitisch und international für Aufsehen gesorgt. Aufgrund der Schuldenlast von mehr als 300 Milliarden US-Dollar fürchten internationale Investoren Spill-Over Effekte und weitere Pleiten innerhalb der Branche. Fakt ist, dass Peking den vollkommenen Kollaps des Unternehmens nicht zulassen würde. Allzu viel Hilfe möchte man jedoch ebenfalls nicht bieten. Dabei geht es den politischen Entscheidungsträgern darum, ein Zeichen zu setzen. Die Jahre der bedingungslosen Expansion und Unterstützung des Immobiliensektors sind vorbei. Dies schlägt eine neue Ära ein, in welcher die Diversifizierung der Wirtschaft in den Vordergrund gestellt werden könnte.

Chinas neue Fokusse: der heimische Konsum und die Energiewende
Dieser bereits konkretisierte Strategiewechsel, welcher auf dem Konzept der dualen Zirkulation aufbaut und von Xi Jinping im Mai 2020 präsentiert wurde, könnte die Beziehung Chinas mit dem Rest der Welt verändern. Dabei soll das westliche Bild Chinas als exportorientiertes und vom globalen Handel abhängiges Land verändert werden. Anstatt der Energie- und Exportabhängigkeit sollen die potenziell 1,4 Milliarden chinesischen Konsumenten in den Vordergrund gerückt werden. Die Pandemie war hinsichtlich dieses Strategiewechsels Segen und Fluch zugleich. Auf einer Seite wurden chinesische Exporte während der Pandemie so stark wie noch nie zuvor nachgefragt, was die Abkehr von dem Sektor voraussichtlich einige Jahre nach hinten verschoben haben könnte. Andererseits profitierte man teilweise von Grenzsperren und Flugbeschränkungen, welche den heimischen Konsum ins Zentrum rückten. Die Beliebtheit heimischer Markenprodukte bei chinesischen Konsumenten scheint laut jüngsten Studien gestiegen zu sein. Der Nationalstolz könnte somit beim Aufbau des heimischen Konsums ein essenzieller Bestandteil sein.

Eine nach innen gerichtete Wirtschaft toleriert eine stärkere Währung
Doch zu einem Wechsel vom Wachstumsmodell hin zu einer nach innen orientierten Ökonomie gehört auch eine nachhaltig stärkere Währung. Die Vorsicht der chinesischen Notenbank, den bereits hoch verschuldeten Immobiliensektor weiter mit Liquiditätsspritzen zu unterstützen, hat den Yuan auf das höchste Niveau seit 2015 getrieben. Unter normalen Umständen würden die Währungshüter bei solch einer drastischen Aufwertung gegen die Währungsspekulationen vorgehen. Doch die Kommentare aus Peking blieben verstreut und hielten sich in Grenzen. Ein klares Zeichen der wechselnden Priorität der Währungspolitik, welche zunehmend eine stärkere Währung toleriert. Auch wenn diese Toleranz aufgrund der bestehenden Bedeutung des exportorientierten Industriesektors seine Grenzen hat und nur schrittweise erhöht werden kann.

Lesen Sie mehr über den Aufstieg Chinas und über die Gründe, weshalb sich im Wettkampf um die regionale Vormachtstellung zunehmend Allianzen gegen Peking bilden, im morgigen zweiten Teil des Beitrages.

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