Die Botschaft der FED an die Anleger könnte deutlicher nicht sein: Relax!

Das Basisszenario für die Finanzmärkte bleibt nach wie vor eine V-förmigen Erholung der Wirtschaft. Die Marktdynamik impliziert gar eine Rückkehr zu einem substantiellen Wachstum für Gewinne und Cash Flows in den kommenden Jahren.

Die beispiellosen Massnahmen, die von Regierungen und Zentralbanken initiiert wurden, bieten die notwendige Grundlage für ein solches Szenario. Die Wirtschaft befindet sich auf dem Weg der Besserung, doch noch ist sie weit vom Vorkrisenniveau entfernt – das «V» ist längst noch nicht komplettiert. Im Gegensatz dazu haben die Finanzmärkte ihr «V» bereits vollendet. Sowohl der MSCI World, als auch die Schwellenländermärkte haben Anfang September neue historische Höchststände erreicht. Die Dynamik ist jedoch nicht homogen und weist deutliche Unterschiede zwischen europäischen und US-amerikanischen Märkten auf. Letztere wurden von äusserst starken Technologietiteln beflügelt. Diese machen im US Aktienmarkt einen sehr hohen Anteil aus. Doch nicht nur geographisch gesehen war die Erholung recht selektiv. Auch in diesem Quartal setzte sich das divergierende Muster zwischen zyklischen, wachstumsorientierten Titeln und defensiven Werten fort.

Die Schwäche des USD hat den Schwellenmärkten Auftrieb verliehen. Viele Analysten erwarten für das kommende Quartal eine Fortsetzung dieses Trends. Das sind keine guten Nachrichten für den CHF und die SNB. Für die in USD verschuldeten Schwellenmärkte dürfte sich dies aber weiterhin positiv auswirken. Die Zinsen waren leicht rückläufig, was sich in einer positiven Performance von Anleihenanlagen äusserte. Die Kreditaufschläge sanken ebenfalls, was wiederum den Schuldnern mit tieferer Bonität zugutekam. Die Risikowahrnehmung, gemessen anhand des VIX-Index, bleibt auf einem hohen Niveau. Im Juli und August ist sie zwar leicht gesunken, stieg dann aber im September mit der zunehmenden Verunsicherung der Anleger wieder an. Am Ende resultierte der erste Monat mit negativer Aktienrenditen seit März.

Asymmetrische Auswirkungen der Pandemie
Wie schon mehrfach betont, hat Covid-19 die Digitalisierung der Wirtschaft massiv beschleunigt und damit ein Kursfeuerwerk bei wachstums- und technologieorientierten Aktien ausgelöst. Doch auch das attraktivste Investment hat seinen fairen Preis. Die Bewertungsmultiplikatoren (wie Kurs/Gewinn oder Kurs/Cash Flow), die von einigen der Mega Techs erreicht wurden, sind historisch kaum vergleichbar. In der Vergangenheit folgte auf derart hohe Bewertungen meist eine klare Kurskorrektur. Alle, die in diesen Titeln investiert sind, hoffen natürlich, dass die Geschichte diesmal anders ausgeht. Verlierer der forcierten Digitalisierung sind Unternehmen, die es nicht schaffen, ihr Geschäftsmodell an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Nicht nur Firmen, sondern auch jede einzelne Arbeitskraft muss am Ende ihren Platz im neuen wirtschaftlichen Kontext ausloten. Welche Auswirkungen diese Dynamik unter dem Strich mit sich bringt ist also nicht ganz so leicht zu prognostizieren.

V-förmige Markterholung basiert auf ziemlich starken Annahmen
Der Aufschwung der letzten Monate wäre nicht derart spektakulär verlaufen, würden ihm nicht einige äusserst optimistische Annahmen zugrunde liegen. Das Gros der Marktteilnehmer geht davon aus, dass es nicht zu neuen Lockdowns und damit zu nachlassender Wirtschaftstätigkeit kommen wird. Auch mit der baldigen Lancierung eines Impfstoffes wird fest gerechnet. Die Erwartung, dass Regierungen und Zentralbanken auch weiterhin für Stützungsmassnahmen und genügend Liquidität sorgen werden, ergibt sich schon fast von selbst. Wie nervös der Markt auf Abweichungen von diesen Punkten reagiert, zeigte sich in der Marktkorrektur im September. Steigende Infektionszahlen und die Unsicherheit über ein zweites US Konjunkturpaket reichten aus, um eine Rotation zugunsten defensiverer Titel auszulösen. Auch der Ausgang der Präsidentschaftswahlen wird für die Märkte immer mehr ein Thema. Gerade im Falle einer Niederlage Trumps ist eine reibungslos funktionierende Regierung und die Stützung der Wirtschaft nicht gewährleistet.

Die Divergenz zwischen den positiven Marktannahmen und den vielen offenen Fragen, die wir tagtäglich am eigenen Leib erfahren, bleibt für viele ein Rätsel. Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie sowie die wachsenden strukturellen Probleme und die damit einhergehende Verzerrung der Wirtschaft scheinen den Optimismus vieler Marktteilnehmer nicht zu trüben. Solange die Zentralbanken für ausreichend Liquidität sorgen, gibt es tatsächlich nicht allzu grossen Anlass zur Sorge. Und um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, hat die FED im August deutlich gemacht, dass die Inflationsbekämpfung keine heilige Kuh mehr ist. Eine Teuerungsrate von über 2% wird unter dem neuen Regime durchaus toleriert. Angst vor einer restriktiveren Geldpolitik ist also unbegründet, auch wenn die Inflation anziehen sollte. Die Botschaft der FED an die Anleger könnte deutlicher nicht sein: Relax!

Carmine Orlacchio CIO, Partner und Mitglied des Verwaltungsrates OLZ