Nach Null-Inflation in der Schweiz: Welche Inflation ist eigentlich gesund?

In der Schweiz ist die Inflationsrate im April auf 0.0 Prozent gesunken, der tiefste Stand seit vier Jahren. Was, wenn sie weiter sinkt?

Auch wenn Geldpolitik und Medien – etwa in der Eurokrise des vergangenen Jahrzehnts – Teuerungsraten nahe der Nulllinie oftmals als bedrohlich eingeordnet haben, wäre es falsch, eine Inflationsrate von 0 Prozent pauschal als «schlecht» einzustufen. Im Gegenteil, eine Teuerungsrate von 0,0 Prozent kann sogar ein erstrebenswerter Zustand sein, da sie perfekte Preisstabilität widerspiegelt. Denn «Nullinflation» bedeutet zunächst einmal nichts anderes als perfekte Preisstabilität. Das bedeutet, dass das Geld, das vor einem Jahr gespart wurde, heute noch denselben Wert hat. Diese Preisstabilität ist ein zentraler Aspekt der Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes. Wenn das Geld umgekehrt rasant an Wert verliert, sinkt das Vertrauen in unser Geldsystem – mit potenziell verheerenden Folgen für die wirtschaftliche und soziale Stabilität eines Währungsraums.

Gesunde Inflation sollte positiv und zugleich niedrig sein
Während allzu schnell steigende Preise die eben angesprochene Wertaufbewahrungsfunktion von Geld infrage stellen könnten, wäre diese Funktion bei fallenden Preisen zwar erfüllt, weil sich mit dem «gehorteten» Geld morgen sogar mehr kaufen lässt. Allerdings bestünde in einem solchen Szenario die Gefahr, dass die Menschen in Erwartung sinkender Preise ihr Geld immer weiter zurückhalten und so eine Phase wirtschaftlicher Schwäche in Gang setzen. Gesunde Inflation sollte deshalb positiv und zugleich niedrig sein.

Eine Teuerungsrate von 0,0 Prozent kann ein erstrebenswerter Zustand sein, da sie perfekte Preisstabilität widerspiegelt.

Julian Marx, Research Analyst, Flossbach von Storch Research Institute

Viele Notenbanken weltweit haben sich in den vergangenen Jahren auf eine Inflationsrate von etwa zwei Prozent als Zielgrösse verständigt. Die erste Notenbank, die ein solches quantitatives Inflationsziel ausgerufen hat, war die Reserve Bank of New Zealand im Jahr 1990 – sie startete damals allerdings noch mit einem Inflationszielband von 0 bis 2 Prozent. Das zeigt, dass eine Inflationsrate von 0 Prozent in diesem Zusammenhang nicht unbedingt als negativ zu bewerten ist.

Mehr Sorgen vor Inflation als Deflation
Das Risiko für die Wirtschaft und Gesellschaft liegt eher in einer ausgeprägten Inflation als in Deflation. In den vergangenen Rezessionsphasen wurde das Preisniveau durch erhöhte Staatsausgaben stabilisiert, was das Risiko einer Deflation verringert hat. Immer dann, wenn die Sorgen in der Wirtschaft wuchsen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage litt, sind die Staaten mit milliardenschweren Rettungspaketen in die Bresche gesprungen. Im Gegensatz dazu sind hohe Inflationsraten schwieriger zu kontrollieren, insbesondere wenn sie durch Angebotsschocks ausgelöst werden, wie es zuletzt bei den Preisen für russisches Gas der Fall war. Das Streben nach einem stabilen Preisniveau – weder zu niedrige noch zu hohe Inflationsraten – bleibt das Ziel der Geldpolitik. Die Herausforderung liegt darin, den richtigen Mittelweg zu finden, um sowohl Preisstabilität zu gewährleisten als auch das Vertrauen in das Geldsystem zu erhalten.

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