Es gibt auch eine gute Staatsverschuldung!

Die steigenden Schulden von Ländern rund um die Welt beunruhigen die Wirtschaft. Aber es kommt darauf an, wofür das Geld ausgegeben wird.

Mit Schulden ist kein Staat zu machen, eine Schuldenwirtschaft führt auf Dauer ins Verderben. Diese Sätze werden kaum in Zweifel gezogen. Die Schweizer Schuldenbremse mit ihrer wohltuenden Wirkung, die international leider kaum Nachahmer findet, bestätigt den schwierigen, aber notwendigen Kampf gegen das schleichende Gift. Die laufenden Sparberatungen in Bern erweisen sich als nur zu bekannte Wiedervorlage: Staatliches Sparen ist mühsam, Ausgabenplafonds sind wie Betonkleber, die Versuchung zusätzlicher, weil scheinbar schmerzfreier Schulden liegt nahe.

Die Schweizer Schuldenbremse mit ihrer wohltuenden Wirkung, die international leider kaum Nachahmer findet, bestätigt den schwierigen, aber notwendigen Kampf gegen das schleichende Gift.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist

In Europa ist aber die Erinnerung an den Absturz Griechenlands 2010 noch präsent. Das Land war in der Folge zu einem harten Sparkurs gezwungen. Renten wurden gekürzt, die Behörden zurechtgestutzt, staatliche Assets verkauft. Heute ist das Schlimmste überstanden. Aktuell grösstes und noch bedeutenderes, wenn auch nicht akut bedrohtes Sorgenkind ist Frankreich, das Land mit rund 3400 Milliarden Euro und damit noch vor Italien den höchsten Schulden in Europa. Die Zinsen übertreffen schon jetzt die jährlichen Ausgaben für die Bildung oder das Militär, Tendenz weiter steigend.

Frankreich als Negativbeispiel
Frankreich droht laut EU-Kommission in zehn Jahren eine Schuldenquote von 143 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Gemeinhin gelten 90 Prozent als den Anlass zu Sorgenfalten. Die USA und Japan leisten sich bedeutend mehr – dies durch Sonderbedingungen. Die Amerikaner profitieren von ihrer starken Wirtschaft, der Weltwährung Dollar und der Tatsache, dass ihre Staatsanleihen überall begehrt sind. Dass die Kreditwürdigkeit des Staates tendenziell sinkt, hat daran bisher nichts geändert. Japan lebt seit Jahren mit einer Schuldenquote zum BIP von aktuell 238 Prozent. Dies geht, weil unter anderem Inländer als Finanziers bereitstehen. Der Anteil anspruchsvoller Auslandsgläubiger ist dagegen vergleichsweise gering, nämlich nur 13 Prozent im Gegensatz zu 46 Prozent etwa in Frankreich und Deutschland. Hohe Schulden sind kein staatliches Zukunftsprogramm, sondern eine scheinbar billige Flucht vor harten Massnahmen, lautet die gängige Überzeugung. Der liberale Ökonom Christoph Schaltegger erinnert an die übliche Ausrede: «Ja, es ist wichtig, langfristig einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, aber jetzt ist es eben gerade anders.» Aber Vorsicht vor Pauschalurteilen. Daher die Frage: Kann eine erhöhte Schuldenlast auch positive Folgen zeitigen? In einer ausführlichen Studie befasste sich die VP Bank in Liechtenstein zur Jahresmitte mit den steigenden Staatsschulden in der Welt. Richtig investiert, stärkten sie die Resilienz eines Landes und könnten neue Märkte erschliessen, heisst es dort. Aber, so die Bank weiter: «Entscheidend sind Ziel, Planung und Kontrolle.» Das ist richtig. Grosse staatliche Investitionsprogramme überfordern regelmässig die Behörden, so dass die Millionen und Milliarden zu breit gestreut werden. Die Schar der Lobbyisten, die um die Mittel buhlen, wächst an Zahl und Intensität schneller als der zu verteilende Kuchen.

Der Etikettenschwindel mit den «Investitionen»
Und die Interessenvertreter haben gemerkt: Wer an das grosse Geld will, muss sein Anliegen als Investition verkaufen. So werden aus Subventionen für die Gastro-Branche zukunftssichernde Massnahmen, aus allen möglichen Anliegen der Sozialfürsorge ein Akt der politischen Stabilität. Am Ende steht Versickerungsgefahr statt Zukunftssicherung. Gute Schulden fliessen in Investitionen, insbesondere für die Infrastruktur eines Landes: Strassen, Brücken und Bahnnetze, Energieversorgung und Klimaschutz, Schulen und Hochschulen. Je konkreter, desto besser. Neue Behördentürme gehören nicht dazu.

Die Interessenvertreter haben gemerkt: Wer an das grosse Geld will, muss sein Anliegen als Investition verkaufen.

Jürgen Dunsch

Deutschland hat ein staatliches Investitionsprogramm über sage und schreibe 500 Milliarden Euro aufgelegt. Eine solche Beglückung verbunden mit Wachstumshoffnungen hatte John Maynard Keynes einst nur für Notfälle empfohlen, genannt sei in unserer Zeit die globale Finanzkrise. Und die Labsal aus dem neuen «Sondervermögen» zu finanzieren, ist Rosstäuscherei, ist dieses doch kreditfinanziert. AAA-Deutschland mit seiner noch mässigen Verschuldung von 66 Prozent des BIP kann sich das leisten, aber gleichzeitig wird die Schuldenbremse aufgeweicht. Monika Schnitzer, Vorsitzende des einflussreichen Sachverständigenrats für die Bundesregierung, findet die Grundidee richtig. Dennoch plagen sie «Bauchschmerzen», wie sie in der FAZ sagte, zum Beispiel diese: Es würden Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen verschoben, um etwa Steuermindereinnahmen zu kompensieren. Bleibt das nicht zu unterschätzende Phänomen staatlicher Milliardensubventionen für industrielle Neuansiedlungen. Die Versuchung ist gross, wenn amerikanische Tech-Konzerne mit dem Plan von Chipfabriken Politiker umgarnen. Das im Juli aufgegebene, mit 10 Milliarden von der deutschen Regierung garnierte Projekt von Intel in Magdeburg ist noch in guter Erinnerung. Es kommt auf den Einzelfall an, zum Beispiel den Technologiesprung, mit dem eine geplante Neuansiedlung verbunden ist, oder auch auf die Konkurrenz durch andere Standorte jenseits der Landesgrenzen. Am besten wäre, jegliche Standortförderung fände im Rahmen eines allgemein zugänglichen Programms mit klaren Kriterien statt. Aber das hiesse wohl, die Durchsetzungskraft grosser Investoren zu unterschätzen.

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