Die verderbliche Gier nach Gewinnen

Die Rolle von Emotionen in der Aktienanlage wird regelmässig unterschätzt. Gesucht sind Beruhigungspillen gegen Gier und Furcht.

Kürzlich schrieb Daniel Kalt, seines Zeichens Chefökonom der UBS Schweiz, mit Blick auf die grossen amerikanischen Technologiewerte: «Bei all der Euphorie rund um Bereiche wie künstliche Intelligenz ist es ratsam, das Thema möglichst emotionslos und rational anzugehen.» Solche Ratschläge zur Geldanlage sind wohlfeil. Die Emotionen kommen den meisten Anlegern immer wieder in die Quere. Besonders die Gier. Sie durchdringt unser ganzes Leben. Am sichtbarsten tritt sie bei den Schlachten an Hotelbüffets zutage, am glanzvollsten bei teuren Autos und am direktesten in Kasinos. Aber auch über den Finanzmärkten hängt ständig eine Wolke dieses verzehrenden Gefühls. Jüngst riet das Migros Magazin Herrn und Frau Schweizer beim Handeln an der Börse zwar zu «einer gewissen Vorsicht» und warnte vor Kurzschlusshandlungen, führte aber nicht weiter aus, dass Käufe und Verkäufe schnell einmal aus dem Ruder laufen können. Fehlentscheidungen sind dann wahrscheinlich.

Der Neid treibt die Gier
Wer seine Gier zähmen will, sollte das Umfeld kennen, in dem sich diese entwickelt. Wer Kursgewinne sucht, ist noch lange nicht blind für die Gefahren, wer planvoll verkauft, kann vielleicht Schlimmeres verhüten. Aber es gibt rote Linien. Eine besteht in der Sucht nach Anerkennung und Ruhm. Das Prahlen mit den Erfolgen an der Börse (und das allzu menschliche Verschweigen der Fehlgriffe) sind ein beliebtes Small-Talk-Thema. Die andere Linie zieht der Neid. Er treibt die Gier. «Wer neidisch ist, gibt zu, dass der andere etwas hat, was man selbst gerne hätte», befindet der Soziologe Rainer Zitelmann.

Megatrends sind gefährlich. Anleger sprechen leicht darauf an, weil sie davon meist schon gehört haben. Rasch erliegen sie einem Herdentrieb. Megatrends, das klingt nach Zukunft und reichen Ernten.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist

All das muss man sich immer wieder bewusst machen. «Der Aktienmarkt ist geschichtlich dafür bekannt, sich in wahnwitzigen Extremen zu verlieren, weil – kurzfristig betrachtet – die Preise oft eher eine Widerspiegelung von Furcht, Habgier oder anderen psychologischen Faktoren sind, als dass sie geschäftliche und währungspolitische Tatsachen darstellen würden», meinte schon vor Jahren Joseph L. Oppenheimer von der Ratingagentur Standard & Poor`s. Was bedeutet das für das Agieren an den Finanzmärkten? Am wichtigsten: Setzen Sie in der Aktienanlage nur freie Mittel, also keine Kredite ein. So bleiben Sie souverän in ihren Entscheidungen ungeachtet aller Gefühlswallungen. Kreditnehmer sind eher für Leichtsinn anfällig oder müssen womöglich zu den dümmsten Zeitpunkten verkaufen – dies bei notorisch fehlerhaften Prognosen zur Entwicklung der Märkte. Entscheidend ist des Weiteren das Durchhalten der zuvor sorgsam definierten Strategien. Das trägt langfristig mehr Früchte als das tägliche Schielen auf die Börsenkurse. Für die Strategie ebenso wie für die konkreten Kauf- und Verkaufsentscheidungen sollten Sie weniger Gerüchten nachhängen als die Fakten sprechen lassen. Manche werden zu wenig beachtet, Beispiele sind der freie Cash-flow in einem Unternehmen oder die Struktur der Verbindlichkeiten. Wichtig: Wenn sich grundlegende Fakten ändern, ist entschlossenes Handeln angesagt. Ein Unternehmen ist keine Liebesbeziehung und verdient auch keinen Heimatbonus.

Dividenden bringen Ruhe ins Depot
Gegen die allgegenwärtige Gier und Furcht kann man sich mit einigen Beruhigungspillen wappnen. Eine davon umfasst Anleihen, die man bis zur Endfälligkeit hält. Unter dem Stichwort Diversifikation empfiehlt sich sowieso ein signifikanter Bestand in dieser Vermögensklasse. Bezogen auf Aktien sorgen gute Dividendenwerte für Beruhigung im Depot. So lassen sich begrenzte Rückschläge ganz gut durchstehen. Als Puffer bleiben die Ausschüttungen, auch wenn sie im Gegensatz zu Kursgewinnen ja steuerpflichtig sind. Strategisch gedacht kann man für Neuanlagen monatlich feste Beträge reservieren. Dann kauft man in schwachen Zeiten mehr, in guten (mit vielleicht überrissenen Kursen) weniger zu.

Noch ein Wort zu den von Banken gerne propagierten «Megatrends». Sie sind gefährlich. Anleger sprechen leicht darauf an, weil sie davon meist schon gehört haben. Rasch erliegen sie einem Herdentrieb. Megatrends, das klingt nach Zukunft und reichen Ernten. Aber wie sich zum Beispiel in der Biotechnologie gezeigt hat, sagt das nur begrenzt etwas aus über die Entwicklung einzelner Fonds und schon gar nichts über das Schicksal bestimmter Unternehmen. Selbst der «Megatrender» Biontech in Mainz hat auf Jahressicht deutlich verloren.

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