Inside Bank Rupp & Cie – Angekommen

Inside Bank Rupp & Cie ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema «Angekommen».

Dr. Heiko Schmidt hatte einen, in der Hauptsache auf Informatik- und Personalprobleme zurückzuführenden (Sie entschuldigen den Ausdruck) Scheisstag hinter sich, als er kurz nach halb acht aus der engen zweistöckigen Tiefgarage des Bankhauses fuhr und die Felgen seines brandneuen SUV schon in der ersten Kurve intensiv und gut hörbar am hohen Bordstein kratzten.

Schmidts norddeutsch gefärbter Kraftausdruck war selbst durch die geschlossenen Fenster hindurch zu hören und sein wuchtiger, mit der flachen Hand ausgeführter Schlag gegen das Lenkrad ebenso.

Es dauerte, bis er sich beruhigt hatte.

Seit zwei Wochen war er nun also bei der Bank Rupp & Cie als Finanzchef in Amt und Würden und hatte mittlerweile alle seine Direktunterstellten zu einer ersten Besprechung getroffen. Das Fazit nach der Schmidt’schen Normalverteilung fiel ziemlich ernüchternd aus: drei Vollflaschen, zwei normale Flaschen und zwei mediokre Mitläufer, an die er sich einstweilen halten musste. Und dann waren da noch zwei weitere Mitarbeiter, die er fachlich überhaupt nicht beurteilen konnte. Er hatte sie bei ihrem ersten und einzigen Meeting schlicht nicht verstanden. Schreckliches Hochdeutsch! Von verheben hatten sie geschwafelt, von angattigen, Chnorz und ähnlich Unverständlichem.

Heiko Schmidt schüttelte von Neuem heftig den Kopf, während sich in seinem Rücken das grosse Garagentor senkte.

Das Erlebte hatte dazu geführt, dass Finanzchef Schmidt bereits am zweiten Arbeitstag einen, zumindest für ihn, verbindlichen Vorsatz gefasst hatte: Er würde in der nächsten Geschäftsleitungssitzung Englisch als offizielle Unternehmenssprache beantragen. Und zwar ausschliesslich Englisch!

«Vollidiot!», schrie er, den Kopf weit aus dem Fenster gestreckt, einem Mann in einem fast noch grösseren SUV zu, weil dieser ihm kurz nach Verlassen der Parkgarage den Rechtsvortritt verweigerte.

«Vollidiot!», wiederholte er, als die Fensterscheibe bereits wieder hochgefahren und der protzige, mattschwarz-lackierte Panzer schon lange ausser Sichtweite war.

Da war dieser für Treasury zuständige Mitarbeiter, an dessen eigenartigen Nachnamen sich Schmidt im Augenblick nicht erinnern konnte. Spontan kam ihm irgendetwas mit Eier in den Sinn. Der gute Mann hatte beim ersten One-2-One-Meeting am frühen Mittwochmorgen die ganze Zeit von einem kleinen Problemli gelabert. Ein Problemli, mein lieber Schwan, das sich bei näherer Betrachtung als gröberes Absicherungsproblem erwiesen und Firmenchef Spalinger nachher zu einer längeren Schimpftirade über Schmidts Vorgänger, diesen Stalder, veranlasst hatte.

«Fahr schon, du lahme Ente!», schrie Schmidt in aggressivem Ton. Er meinte damit den Fahrzeuglenker vor ihm, vermutlich eine Frau, die mit ihrer Tempo-Compliance die Welt fast zum Verzweifeln brachte.

Schmidt liess kurz den Motor aufheulen und wechselte die Fahrspur. Obschon es bereits fast acht war, herrschte noch immer reger Verkehr.

Als er beim Lesen seiner Mails sicherheitshalber kurz von seinem Smartphone aufschaute, schoss etwas Weisses links an ihm vorbei. Dann, nachdem er Kollege Muntwylers Nachricht ausführlich beantwortet hatte, erspähte er auf der linken, deutlich schnelleren Spur eine kleine Lücke, die er sogleich schloss.

Wohl eher zufällig musste er daran denken, wie ihn schon am ersten Arbeitstag ein Mitarbeiter auf Stufe N-3 auf dem Flur angesprochen hatte: «Ich habe einige Überlegungen zu den Prozessabläufen angestellt und möchte Ihnen diese gerne persönlich erläutern …», hatte der subalterne Kerl selbstbewusst angeführt, worauf Schmidt ihn kurz und knapp auf den ordentlichen Dienstweg verwiesen hatte.

Heiko Schmidt sah auf die digitale Tachoanzeige, die 17 Stundenkilometer mehr als die innerorts erlaubten 50 anzeigte. Dank der ihm eigenen Dynamik und der Stärke seines Gefährts überholte er problemlos fünf Fahrzeuge, bevor er sich nur wenige Meter nach der Spurverengung – die ausgezogene Sicherheitslinie wohl oder übel ignorierend – unmittelbar vor einem roten Sportwagen einreihte.

Trotz geglücktem Manöver kam er dabei nicht umhin, dem unsouverän reagierenden Sportwagenlenker den Stinkefinger zu zeigen. Zuerst im Rückspiegel und dann, als dieser mit der lächerlichen Lichthuperei nicht aufhören wollte, nochmals aus der heruntergelassenen Fensterscheibe.

Nach dieser kurzen, aber heftigen Interaktion dauerte es schliesslich zwölf weitere, ziemlich hektische Minuten, bis sich vor ihm das Tor der Doppelgarage öffnete und aus dem zackigen Finanzchef Dr. Heiko Schmidt der liebevolle Ehemann Heiko wurde.

Schmidt war zuhause angekommen!

«Liebling, wie war dein Tag?» fragte seine Frau Stefanie ihn später am Abend. Sie sassen bei einem guten Glas Rotwein im Wohnzimmer ihres schicken Hauses und unterhielten sich.

Heiko Schmidt überlegte einen Moment, bevor er antwortete.

«Wenn ich ehrlich bin, so richtig verstehen tue ich die Leute bei der Bank noch immer nicht …», gab er mit ernster und nachdenklicher Miene zur Antwort. Dann lehnte er sich im Sessel ein wenig zurück, und sein Antlitz hellte plötzlich auf.

«Aber ansonsten», sagte er nun freudestrahlend, «… habe ich mich hier inzwischen wahrlich schon saugut eingelebt!»