Inside Bank Rupp & Cie – Follower (... or to be or not be compliant)

Inside Bank Rupp & Cie ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema «Follower».

Philipp Bürgin nahm einen weiteren grossen Schluck aus seinem Wasserglas, obschon er in den letzten zehn Minuten bereits eine ganze Flasche geleert hatte. Dann prüfte er beidhändig seine Krawatte und schaute anschliessend zu Peter Hug und den anderen Direktunterstellten des Finanzchefs der Bank Rupp & Cie. Wohlverstanden: des neuen Finanzchefs, der am letzten Freitag überraschend Georg Stalder abgelöst hatte. Bürgin hatte sich nicht einmal von ihm verabschieden können, so schnell waren Stalder und seinen Siebensachen aus dem Haus verschwunden. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.

Und jetzt sassen sie nervös und angespannt zu neunt im grossen Besprechungsraum der Finanzabteilung im zweiten Stock und warteten auf den ersten Auftritt ihres neuen Vorgesetzten, der seit über zwanzig Minuten auf sich warten liess.

«Schon nicht fair», sagte Bürgin zu Hug, während er immer noch mit seinem Krawattenknopf beschäftigt war. «Da haben es Frauen karrieretechnisch schon viel einfacher.»

«Stimmt!», bestätigte Hug.

Beide schreckten sie auf, als jemand irrtümlich die Türe zum Besprechungsraum kurz öffnete und sogleich wieder schloss.

«Ja, das stimmt, definitiv sogar. Die können sich kleiden, wie sie wollen, praktisch risikolos», fuhr Hug fort, während er seinen Button-Down-Kragen nachkontrollierte. Weiter wollte er das Frauen-Karriere-Thema nicht vertiefen. Das brauchte er auch nicht, da keiner der Direktunterstellten – weder des alten noch des neuen Finanzchefs – eine Unterstellte war.

«Wer hätte gedacht, dass diesen nebensächlichen Aspekten einmal eine solch grosse Bedeutung zukommen würde», sagte Bürgin und schaute auf seine Uhr. Der Neue liess bereits dreissig Minuten auf sich warten!

«Niemand», antwortete Hug, während er auf seinem Smartphone die eingegangenen Nachrichten checkte.

«Vor Kurzem hätten wir noch darüber gelacht», sagte Bürgin weiter, «... und jetzt scheint alles andere unwichtig!»

«Selbst das Fachliche», scherzte Hug.

«Es kommt nur noch darauf an, ob man compliant ist.» Bürgins Stimme klang leicht bedrückt, während er zur Türe schaute. Dann nahm er einen weiteren Schluck aus seinem Wasserglas, da sich sein Hals schon wieder trocken anfühlte.

«Eine richtige Glaubensfrage ist das mittlerweile», sagte Hug.

«Ja, man könnte es fast meinen», erwiderte Bürgin, der seinen Kollegen insgeheim ein bisschen bewunderte. Er hätte sich einen derart lockeren Auftritt beim ersten Zusammentreffen nicht getraut.

Dann endlich öffnete sich die Türe und ein mittelaltriger, leicht untersetzter Mann in einem auffallend unmodischen, grauen Anzug und offenem Hemdkragen trat geräuschvoll ein.

«Mein Name ist Dr. Heiko Schmidt», sagte er in zackigem Ton, nachdem er sich wuchtig auf den Stuhl am Kopf des Konferenztisches hatte fallen lassen. Dann schaute er in die Runde und musterte einen nach dem anderen.

«Und damit wir uns gleich von Anfang an richtig verstehen: Bei mir gilt einzig und allein das Leistungsprinzip! Nichts anderes – und schon gar nicht das Scheinprinzip!», ergänzte er gleich darauf nicht weniger forsch.

Hug begann, über das ganze Gesicht zu strahlen und setzte sich noch etwas aufrechter auf seinen Stuhl als zuvor. Bürgin dagegen versuchte verzweifelt, seinen doppelten Windsor unauffällig zu lösen. Den Blick umständlich nach unten gerichtet, wurstelte er nervös an seinem Krawattenknopf herum.

«Hallo …? Ist da jemand zuhause?», fragte eine sonore Stimme, derweil Bürgin noch immer höchst konzentriert an seiner Krawatte herumnestelte. Er schaute erst auf, als Hug ihm mit dem Ellenbogen zum zweiten Mal einen leichten Puff versetzte. Mit locker herunterhängender Krawatte und geöffnetem oberstem Hemdknopf, unter dem ein weisses Unterhemd hervorlugte, blickte Bürgin zuerst erschrocken zu seinem Kollegen, dann noch erschrockener zum Mann am Tischende.

«Ja, Sie meine ich!», sagte der neue Finanzchef leicht ungehalten, «stellen Sie sich doch bitte auch kurz vor, wenn Sie Ihr Scheinproblem gelöst haben.»