Bank Rupp & Cie – Das Reklamationsschreiben

Inside Bank Rupp & Cie (bæŋkrʌptsi) ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema Reputationsrisiko.

Das mit Bankstereien betitelte, in äusserst hemdsärmeliger Sprache verfasste und an den Firmenchef höchstpersönlich gerichtete Schreiben war gemäss Eingangsstempel exakt vor einer Stunde und sieben Minuten im Chefsekretariat eingegangen und dann, vor weniger als fünfzehn Minuten, auf dem Schreibtisch des Leiters Rechtsdienst gelandet.

Lukas Blöchlinger, der oberste Jurist im Hause, hatte das unflätige Schreiben kaum ein erstes Mal durchgelesen, als Spalingers Stabschef Pierre Stämpfli ihn auf seinem Smartphone bereits anrief.

«Und?», sagte er unhöflich.

«Was meinen Sie?», fragte Blöchlinger zurück.

«Was wohl», entgegnete Stämpfli, «… das Herrn Spalinger heute zugekommene Drohschreiben!»

Blöchlinger brauchte einen Moment, bis er Stämpflis Bemerkung verstand. «Sie meinen das Reklamationsschreiben?»

«Sag ich doch!», erwiderte jener ungeduldig. «Ich kann Ihnen sagen, Herr Spalinger hat sich masslos darüber aufgeregt, dass er mittlerweile sogar in Kundenangelegenheiten involviert wird; ... und ich verstehe ihn vollauf!», setzte der Stabschef nach einer kurzen Pause verärgert hinzu. Spalingers minutenlanger, cholerischer Anschiss wirkte noch immer nach.

Es herrschte für ein paar Sekunden unangenehmes Schweigen in der Leitung. Dann war es der Stabschef, der das Gespräch wieder aufnahm.

«Und, was machen wir jetzt?», fragte Stämpfli, bevor er, ohne die Antwort abzuwarten, zu einem eigentlichen Fragenkatalog ansetzte.

«Haben Sie den Fall studiert?»

«Wer ist für den Schlamassel verantwortlich?»

«Steht die Task-Force

«Und haben Sie wegen möglicher Medienanfragen vorab mit der Kommunikationsabteilung gesprochen?»

«Ich?» brummelte Blöchlinger. Er ärgerte sich, dass er das Problem und seine Folgen nicht sogleich weiter – nach unten – delegiert hatte.

«Ja, wer denn sonst!», wies Stämpfli ihn instruktionsgemäss zurecht. «Und zwar schleunigst!»

Blöchlinger schluckte zweimal leer, bevor er sich äusserte: «Vorbehältlich weiterer, vorhersehbarer und unvorhersehbarer, möglicher und unmöglicher Entwicklungen etc. etc.» begann er wie gewohnt, «handelt es sich nach meiner ersten Einschätzung um einen, wie soll ich sagen, relativ überblickbaren Sachverhalt. Ein typisches Reklamationsschreiben eines frustrierten Bankkunden, dessen Hoffnungen sich nicht erfüllt haben …», fügte er hinzu. Eigentlich wollte er an dieser Stelle den geringen, für eine Bank dieser Grösse geradezu lächerlichen Forderungsbetrag ins Feld führen, doch er wurde schroff und lauthals unterbrochen.

«Ich glaube, Sie haben die Dimension dieses Falls nicht verstanden …!», schrie Stämpfli unbeherrscht in den Hörer.

Es brauchte etwas Zeit, bis er sich beruhigt hatte und Blöchlinger seinen Satz beenden konnte.

«850», sagte er.

«Was?»

«850 Franken», wiederholte Blöchlinger, «das ist der Betrag, den der Kunde an der Börse verloren hat.»

«Ja und?» fragte Stämpfli, «… was wollen Sie damit sagen?»

«Das ist doch für unsere Bank keine Summe, selbst im Worst Case …», antwortete Blöchlinger mit gestärkter Stimme. Und weil er sich ziemlich sicher war, den in der Tat wenig komplexen Sachverhalt einigermassen korrekt und umfassend verstanden zu haben, hängte er noch einen Nachsatz an: «so hoffe ich doch.»

Er musste einen Lacher unterdrücken.

Daraufhin war deutlich vernehmbar, wie auf der anderen Seite der Leitung eine Faust oder ein fester Gegenstand auf der Tischplatte aufschlug.

«Hier geht es doch nicht um den Betrag!», bellte Stämpfli in den Hörer. «Verdammt nochmal …! Um den nicht eingrenzbaren Reputationsschaden geht es, und um nichts anderes!» Es waren Spalingers einprägsamen Worte, die er da laut und klar wiederholte.

Blöchlinger war verunsichert. «Für die Bank?», sprach er fragend in sein Smartphone.

«Nein, für den Firmenchef natürlich», erwiderte Pierre Stämpfli verständnislos.