Der flüchtige Reiz von Geld und Gold

Warum an den bevorstehenden Feiertagen nicht ein Griff nach den Klassikern der Weltliteratur? Sie haben zu Geld und Reichtum mehr zu sagen, als uns lieb ist.

Das ist der Kapitalismus in uns allen. Das Brettspiel «Monopoly» erweist sich seit Jahrzehnten als Renner. Wer es kritischer mag, kann zu Büchern greifen. Die Weltliteratur wimmelt nur so von Dramen über den flüchtigen Reiz von Geld, dem Fluch grosser Vermögen und der Zwietracht über bedeutende Erbschaften. Natürlich stehen die starken Gefühle zumeist klar im Vordergrund: Liebe, Lust und Leidenschaft und auf der anderen Seite Lügen, Niedertracht und Verrat. Aber nur zu oft spielt das kleine und vor allem das grosse Geld hinein.

Die einst in Münzen gefasste Macht und Freiheit bewegt die Dichter schon seit Jahrhunderten. Aber erst die Industrialisierung des 19. Jahrhundert mit dem Entstehen riesiger Trusts und zugleich der Ausbeutung der sich bildenden Arbeiterheere hat den grössten Teil der uns bekannten Literatur hervorgebracht. Im 20. Jahrhundert führte vor allem die Katastrophe des Ersten Weltkriegs, gefolgt vom alles verschlingenden Taumel der «goldenen» zwanziger Jahre die Schriftsteller zur Auseinandersetzung mit einer Welt, die offenbar aus den Fugen geraten war. Hier ein Griff nach einigen bedeutenden Werken.

Ein Meisterstück über die Börse
Geld bildet für die meisten Schriftsteller einen Inbegriff moralischer Verkommenheit. Und die Börse ist deren bestes Symbol. Einen bis heute wegweisenden Ausdruck dieser Abscheu verlieh Emile Zola in seinem Roman «Geld» von 1891, der vom Skandal um die Finanzierung des Panamakanals und vom Zusammenbruch der Banque Union Générale befeuert wurde. Schon auf den ersten Seiten führt Zola den Leser zum Börsengebäude in Paris. «Die Stufen und die Vorhalle waren von einem schwarzen Gewimmel von Gehröcken überflutet, und von der Kulisse, dem Platz der Pfuschmakler, die sich bereits unter der Uhr niedergelassen und ihre Tätigkeit entfaltet hatten, erscholl das Geschrei des Angebots und der Nachfrage, jenes Geräusch des an- und abschwellenden Börsenlärms, der das Grollen der Grossstadt siegreich übertönte.» So meisterhaft geht es weiter, und der Roman des Franzosen steht auch heute noch vielfach auf der «Shortlist» für ein Weihnachtsgeschenk.

Das grosse Gegenbild der Industrialisierung in Gestalt einer darbenden Arbeiterklasse entwarf mit am besten Gerhard Hauptmann. Das Drama greift auf den Weberaufstand von 1844 in Schlesien zurück. Als einer der ersten führt Hauptmann das Elend der neuen Arbeiterheere, die ums nackte Überleben kämpfen, den Zuschauern in seiner ganzen Brutalität vor Augen.

Aus einer sehr individuellen und damit zeitlosen Perspektive taucht Fjodor Dostojewski in das dem Untergang geweihte, weil am Geld hängende Glück ein. «Der Spieler» nimmt sich die Spielsüchtigen in den Casinos vor und schildert gekonnt die Abwärtsspirale, in die sie geraten können. So verspielt Dostojewskis Hauptfigur am Roulettetisch nicht nur seine Existenz, sondern mehr noch eine grosse Liebe. Unstillbar bleibt nur die Sehnsucht nach Gewinn. Auf der luftigen Bühne des äusseren Scheins, von dem sich viele – offenbar nur zu gerne – täuschen lassen, bewegt sich als ebenso zeitlose Figur der Hochstapler Felix Krull von Thomas Mann, dessen «Bekenntnisse» erstmals 1954 erschienen. Als Sohn eines Bankrotteurs entwickelt sich die Hauptfigur zu einem versierten Blender und erringt dabei sogar noch privates Glück. Die Naivität und Bewunderung seiner Mitmenschen helfen ihm dabei.

Wider den Konsumrausch
Unter der Literatur, welche die «goldenen Zwanziger Jahre» als hohles Traumbild entlarven, sticht nicht zuletzt «Der grosse Gatsby» des Amerikaners F. Scott Fitzgerald hervor. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat es die Hauptperson James Gatz zum Multimillionär gebracht, der in seiner Traumvilla auf Long Island bei New York sagenumwobene Parties gibt. Sie dienen allerdings nur vordergründig dem allgemeinen Vergnügen. Vielmehr will der grosse Gatsby, so inzwischen sein Name, mit diesen rauschenden Festen seine grosse Liebe Daisy beindrucken und endlich für sich gewinnen. Sie ist indes, dies auch noch standesgemäss aus gutem Hause, mit einem anderen reichen Mann verheiratet und nimmt um des Wohlstandes willen dessen Oberflächlichkeit in Kauf. Es kommt, wie es kommen muss. Daisy ist in der fiebrigen Party-Atmosphäre innerlich so ausgedörrt, dass der Ex-Geliebte trotz all seiner Sehnsucht nach ihr scheitert. Dies alles wird erzählt in einer Mischung aus äusserer Spannung und innerem Tiefgang, von deren Magie man sich gerne gefangen nehmen lässt. Und wer es lieber in Bild und Ton mag, dem sei die Verfilmung des «grossen Gatsby» von 1974 mit Robert Redford und Mia Farrow ans Herz gelegt.

Auch die Wirtschaftswunderjahre in vielen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg haben Literaten beschäftigt. Ihre Darstellungen der Kehrseiten dieses Konsumbooms lassen einen bis heute nachdenklich zurück. Mehr noch: In einer der möglichen Zuspitzungen macht Geld auch die Biedermänner und -frauen korrupt. In dem Drama «Besuch der alten Dame» von Friedrich Dürrenmatt kehrt die steinreiche Claire Zachanassian nach 45 Jahren in ihre heruntergewirtschaftete Heimatgemeinde Güllen zurück. Mit einer Milliardenspende bringt sie die Einwohner dazu, ihren Mitbürger Alfred Ill zu töten. Dieser hatte die Multimilliardärin einst geschwängert und dann sitzen gelassen, so dass sie Güllen verlassen musste. Jetzt ist Claire als Racheengel zurückgekehrt. Geld kann töten, lautet die extreme Botschaft.

Im Gegensatz zum «Besuch der alten Dame», die immer wieder beeindruckende Inszenierungen erlebt, wird der «Tod eines Handlungsreisenden» von Arthur Miller heute nur noch vergleichsweise selten aufgeführt. Dabei verkörpert Willy Loman, der sich als Hauptfigur dieses Stückes in seinem Job die Absätze krummläuft, ähnlich wie im «grossen Gatsby» weit mehr als das Scheitern des «American Dream». Es ist das Drama all jener, die sich und ihren Kindern eine bessere Welt bieten wollen und deren lange gehegte Zuversicht am Ende brutal ausgelöscht wird. Der Jobverlust von Willy Loman jenseits der 60 ist das äussere Zeichen, sein auch atmosphärisch umdüsterter Selbstmord die extreme Konsequenz in diesem Stück von 1949.

Der Lockstoff Geld unterfüttert vor allem das beliebte Genre der Kriminalromane aus Betrug, Raub und Mord. Aber auch hier schimmert immer wieder grundsätzliche Wirtschaftskritik durch. Man muss gar nicht weit gehen. «Wachtmeister Studer» von Friedrich Glauser ist vordergründig ein klassischer Krimi. Die Folie der Handlung bildet allerdings eine ins Elend gestürzte Familie. Mit einem Versicherungsbetrug versucht sie, nach der Weltwirtschaftskrise in den dreissiger Jahren wieder auf die Beine zu kommen.

«Der Mensch ist doch kein Abfall»
Der «Held» von Arthur Miller hat sein halbes Leben für die Firma geopfert. Am Ende kann er gegenüber seinem Chef nur noch hilflos stammeln: «Du kannst die Zitrone nicht auspressen und dann die Schale wegwerfen. Der Mensch ist doch kein Abfall». Zwangsläufig kennt die Welt Gewinner und Verlierer. Dichter stellen allerdings die Frage, wie Gewinner zu Unterdrückern und Verlierer zu Gedemütigten werden. Für sie spielen ökonomische Gegebenheiten dabei eine Schlüsselrolle. Wer die menschlichen Abgründe erkunden möchte, die sich durch Geld und Gold fast unweigerlich auftun, ist – wie diese ausgewählten Beispiele zeigen – bei den Klassikern der Weltliteratur immer noch gut aufgehoben. Sie analysieren die Welt nicht mit dem Seziermesser wie ein Autor von Sachbüchern, sondern führen in Prosa und auf der Bühne einen Kosmos mit vielen Schwingungen vor Augen, in dem aber der Sinn für die wirklich wichtigen Dinge im Leben verloren gegangen ist. Der Leser ist schon bald versucht, einen Schritt zurückzutreten und die Lektüre mit seinem eigenen Zustand zu vergleichen.

Hauptbildnachweis: Francis Scott Fitzgerald