US-Inflation: Eine trügerische Ruhe?

Die US-Inflation könnte schon bald wieder die Marke von 3% überschreiten – trotz einer scheinbaren Beruhigung im Frühjahr. Die April-Zahlen deuten darauf hin, dass die Teuerung unter Kontrolle ist.

Der Verbraucherpreisindex (CPI) stieg lediglich um 0,2% im Monatsvergleich (gegenüber 0,3% erwartet), die Jahresrate fiel auf 2,3%. Die Kerninflation blieb stabil bei 2,8%. Diese Stabilisierung beruht jedoch auf vorübergehenden Faktoren, die zunehmende Preisspannungen verschleiern. Insbesondere die Effekte der neuen, von Donald Trump verhängten, Zölle haben sich noch nicht in der Realwirtschaft niedergeschlagen – die inflationäre Mechanik ist jedoch bereits in Gang gesetzt.

Zölle wirken naturgemäss inflationstreibend, doch ihre Auswirkung auf die Konsumentenpreise zeigt sich in der Regel erst nach etwa zwölf Monaten. Das belegt die jüngste Wirtschaftsgeschichte. Während des Handelskriegs 2018 bis 2019 hatten die meisten Zollerhöhungen in den ersten sechs Monaten nur begrenzte Auswirkungen. Laut der Studie von Cavallo et al. (2021) wurden kurzfristig lediglich 3 bis 10% der tarifbedingten Kostensteigerungen an die Endverbraucher weitergegeben. Der Grossteil wurde von den Unternehmen durch niedrigere Margen, vorab aufgebaute Lagerbestände oder bestehende Festpreisverträge absorbiert. Doch nach sechs Monaten beginnt sich das Bild zu ändern: Nach 12 bis 24 Monaten schlagen 75 bis 88% der Zusatzkosten tatsächlich auf die Endverbraucherpreise durch – ein zeitlich verzögerter, aber realer Inflationseffekt.

Die Geschichte zeigt, dass Zölle besonders dann einen starken Effekt entfalten, wenn sie auf gezielte Produkte abzielen.

Arthur Jurus, Head of Investment Office, ODDO BHF

Frühindikatoren für diese Entwicklung sind bereits in den Konjunkturumfragen sichtbar. Im April kletterte der ISM-Index für gezahlte Preise im Dienstleistungssektor auf 65,1 – den höchsten Stand seit Januar 2023, als die Inflation über 6% lag. In der Industrie berichten 85% der Branchen von steigenden Inputkosten – ein Niveau, das zuletzt zum Ende der Covid-Krise erreicht wurde. Und das Beige Book der US-Notenbank lässt keinen Zweifel: Die Mehrheit der Unternehmen erwartet eine Anhebung ihrer Verkaufspreise zur Weitergabe der Zölle. Einige haben bereits entsprechende Mitteilungen von ihren Lieferanten erhalten.

Die Geschichte zeigt auch, dass Zölle besonders dann einen starken Effekt entfalten, wenn sie auf gezielte Produkte abzielen. Als die Trump-Regierung 2018 einen Zoll von 20% auf Waschmaschinen verhängte, stiegen die Preise dieser Produkte innerhalb von nur drei Monaten um 12%. Selbst Wäschetrockner – die nicht von der Massnahme betroffen waren – verteuerten sich um 8%, da die Händler ihre Margen entsprechend anpassten. Dagegen dauerte es bei Zöllen auf Vorleistungsgüter wie Stahl oder Aluminium deutlich länger, bis sich die höheren Kosten in Konsumgütern wie Autos, Dosen oder Haushaltsgeräten bemerkbar machten. Der Effekt auf die Gesamtinflation trat erst mehrere Quartale später auf – mit einem geschätzten Einfluss von 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten auf den CPI.

Besorgniserregend ist heute, dass die früheren strukturellen Desinflationstreiber schwächer geworden sind. Importierte Industriegüter – insbesondere aus China – haben über ein Jahr lang zur Dämpfung der US-Inflation beigetragen. Diese Phase scheint nun vorbei zu sein. China exportiert nicht mehr wie in den Jahren 2022 bis 2023 deflationären Druck, und die neuen Zölle – auch wenn sie nach dem jüngsten Abkommen von 145% auf 30% gesenkt wurden – verbleiben auf hohem Niveau. Betroffen sind zentrale Konsumgüter wie Elektronik, Kleidung oder langlebige Haushaltsartikel. Ökonomisch ist die Schlussfolgerung eindeutig: Sobald Lagerbestände aufgebraucht sind und Margen nicht mehr ausreichen, werden diese Kostenanstiege in den Endpreisen sichtbar werden.

Alles deutet auf eine verzögerte, aber unvermeidbare Rückkehr der Inflation hin.

Arthur Jurus

Auch die Dienstleistungsinflation – insbesondere ausserhalb des Wohnsektors – dürfte durch den Lohndruck gestützt bleiben. Diese Dienstleistungen sind kaum internationalem Wettbewerb ausgesetzt und spiegeln direkt die Lage am Arbeitsmarkt wider. Trotz eines leichten Rückgangs der Neueinstellungen bleibt das Arbeitskräfteangebot durch die restriktive Migrationspolitik begrenzt. Das sorgt für ein anhaltend hohes Lohnwachstum von über 4% – was automatisch zu höheren Preisen in Sektoren wie Pflege, Gastronomie oder Transport führt. Selbst wenn die US-Notenbank eine leichte Abschwächung der Nachfrage beobachtet, bleiben die Kostenuntergrenzen hoch.

Angesichts dieser Gemengelage rechnen die Märkte nur noch mit einer Zinssenkung der Fed um 50 Basispunkte. Die US-Notenbank hat klar signalisiert, dass sie nicht auf einmalige Preiseffekte reagieren will, sondern die unterliegenden Dynamiken im Auge behält. Und diese Dynamik zeigt klar nach oben: Sie verbindet einen allmählichen Angebotsschock durch Zölle, strukturellen Lohndruck und das Ende des globalen Desinflationstrends.

Alles deutet auf eine verzögerte, aber unvermeidbare Rückkehr der Inflation hin. Die Preisspannungen nehmen zu – sie sind nur (noch) nicht in den offiziellen Statistiken sichtbar. In wenigen Monaten dürfte ein Anstieg der Jahresinflation auf rund 3% nicht nur möglich, sondern nahezu zwangsläufig sein. Die aktuelle Handelspolitik, die Importkosten dauerhaft verteuert, wirkt wie ein Preisniveauschock mit langfristigem Einfluss. Hinter der scheinbaren Preisstabilität steigt der Druck.

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