Warum die KI-Rally stärker ist als die Angst vor der Blase

«Wann platzt die KI-Blase?» Diese Frage wurde mir zuletzt mehrfach gestellt. Sie suggeriert, dass sich der Sektor – der heterogen ist, der Einfachheit halber hier aber als eine Einheit zusammengefasst wird – tatsächlich in einer Blase befindet. Das wirft drei Fragen auf (mindestens): Was ist eine Blase? Befindet sich der KI- oder etwas allgemeiner der Technologiesektor tatsächlich in einer Blase? Und falls ja, droht diese zu platzen?

Auf Wikipedia wird eine Spekulationsblase an der Börse definiert als «eine Marktphase, in der die Preise für Vermögenswerte wie Aktien weit über ihren eigentlichen Wert steigen und sich somit von der realen Wirtschaft entkoppeln». Wie sieht das aktuell aus? Haben sich Kurse und Bewertungen im KI-Bereich (zu) weit von den Fundamentaldaten entfernt?

Wenn wir glauben, dass KI unser Leben in den nächsten zehn Jahren massgeblich beeinflussen wird, dann ist das Potenzial noch bei weitem nicht ausgeschöpft.

Thomas Heller, Chief Investment Officer, Frankfurter Bankgesellschaft Gruppe

Zieht man die sogenannten «Magnificent 7» (Mag7: Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia, Tesla), sieben der führenden Technologieunternehmen in den USA, oder den Technologie-Subindex des S&P 500 als Annäherung für den KI-Sektor heran, so ist der Wertzuwachs in den letzten drei Jahren tatsächlich beeindruckend: Die Mag7 haben um mehr als 300% zugelegt, der S&P Technologie-Index um gut 180%. Die Rendite des gesamten S&P 500 war mit knapp 90% deutlich bescheidener (und wäre ohne den Tech-Sektor klar schwächer ausgefallen). Übrigens, OpenAI, das Unternehmen, das Ende 2022 mit der Lancierung von ChatGPT den KI-Boom ausgelöst hat, ist nicht börsennotiert, über gegenseitige Beteiligungen und Kooperationsvereinbarungen jedoch eng mit börsennotierten Firmen wie Nvidia, Microsoft oder Broadcom verbunden. Diese Kursentwicklung hat die Bewertungen einiger dieser Unternehmen in die Höhe getrieben. Allerdings nicht bei allen, da die steigenden Gewinnerwartungen den Bewertungsanstieg gedämpft haben. Ein Beispiel dafür ist Nvidia, das wertvollste Unternehmen der Welt. Nvidia handelt auf Basis der Gewinnerwartungen für die nächsten 12 Monate aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 30 zwar über dem Markt (KGV S&P 500: 22), aber unter seinem eigenen 10-jährigen Durchschnitt. Die Bewertung von Broadcom liegt hingegen mit einem KGV von rund 38 deutlicher über dem Markt und auch über der eigenen Historie.

Eine Delle beim Thema KI ist irgendwann zu erwarten. Sie ist derzeit aber nicht erkennbar oder absehbar.

Thomas Heller

Das ist allerdings kein Vergleich mit den Bewertungsniveaus in der Internet-Euphorie in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre, mit der die aktuelle KI-Euphorie gerne verglichen wird. Damals waren hohe 2-stellige und sogar 3-stellige KGVs keine Seltenheit. Oder – noch schlimmer – wegen dem fehlenden G (= Gewinn) konnte gar kein KGV berechnet werden. Im Gegensatz zu damals erwirtschaften die heutigen Tech-Unternehmen Umsätze, Cashflows und Gewinne. Gerade die grossen Tech-Konzerne sind aufgrund ihrer Finanzierungsstrukturen und hoher Cashflows in der Lage, etwaige Verluste zu absorbieren. Konnte man damals getrost von einer Blase sprechen (aus heutiger Sicht sowieso), erleben wir aktuell eher einen Boom. Was nicht heisst, dass es nicht zu Rückschlägen kommen kann. Natürlich besteht die Gefahr von «Überinvestitionen», und dass viel Positives in den Kursen vorweggenommen ist. Die hohen Investitionen sind eine Belastung für Margen und Gewinne.
Betrachten muss man das wohl auf Ebene des einzelnen Unternehmens. Firmen, denen es gelingt, die steigende Nachfrage nach KI-bezogenen Produkten und Dienstleistungen zu bedienen und/oder die KI sinnvoll in die eigenen Prozesse zu integrieren, damit effizienter und produktiver zu werden oder neue Märkte zu erschliessen, werden ihre Investitionen eher monetarisieren können.

Wenn wir glauben, dass KI unser Leben in den nächsten zehn Jahren massgeblich beeinflussen und prägen wird – und davon kann man wohl ausgehen –, dann ist das Potenzial noch bei weitem nicht ausgeschöpft, das Ende der Fahnenstange nicht erreicht. Dennoch sollten sich Anleger bewusst sein: Eine Delle beim Thema KI ist irgendwann zu erwarten. Sie ist derzeit aber nicht erkennbar oder absehbar. Eine mögliche Korrektur zu «timen» ist zudem schwierig bis unmöglich. Der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan sprach angesichts der Tech-Rally bereits Ende 1996 von «irrational exuberance», von irrationalem Überschwang, an den Börsen. Geplatzt ist die Blase mehr als vier Jahre später.

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