Inside Bank Rupp & Cie – Brainstorming

Inside Bank Rupp & Cie ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema «Brainstorming».

Schorsch Stalder schaute den CEO der Bank Rupp & Cie erwartungsvoll an, doch der brauchte einen Moment, bis er sich zum exklusiven Weinvorschlag seines Finanzchefs äusserte.

«Also gut, einverstanden», sagte Joe Spalinger, «nehmen wir den Château Latour, schliesslich sind wir beide schwergewichtige Kunden der Bank und wollen gut betreut sein.»

Spalinger musste ob seiner eigenen Bemerkung schmunzeln. Dann lehnte er sich zurück, um sein Gesicht der milden Frühlingssonne zuzuwenden. Der Garten des Du Lac, ein mehrfach ausgezeichneter Gourmettempel nahe der Stadtgrenze, bot einen wunderbaren Ausblick auf den See und die Alpen.

Nachdem der Kellner ihnen den ersten Gang des Business Lunch, eine Variation asiatischer Vorspeisen, serviert hatte, war es Firmenchef Spalinger, der das Wort ergriff.

«Und, wie läuft es zuhause?», fragte er pro forma.

«Alles bestens. Liz ist zurzeit praktisch ausschliesslich mit der Betreuung der Kinder beschäftigt. Privatschule, Reiten, Golf, Ballett, Klavierunterricht und Mandarin, das Übliche halt ...», antwortete Stalder stolz.

«Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ambitioniert die heute sind!», fügte er gleich darauf hinzu.

«Die Eltern?», fragte Spalinger.

«Nein, die Kinder. Sind beide hochbegabt, sagt Liz.» Stalder lächelte leicht geniert.

«Schön», erwiderte Spalinger, «aber eigentlich wollte ich dich wegen etwas ganz anderem sprechen. Es geht um die letzte Analystenkonferenz …» Er hielt kurz inne, bevor er weiterfuhr.

«Diese verdammten Analysten mit ihren ständigen Quartalsvergleichen», fluchte Spalinger, «das möchte ich nicht noch einmal erleben!»

«Was meinst du?», fragte Stalder mit vollem Mund.

«Du bist ja selbst dabei gewesen! Vergleichen andauernd die vorangegangenen mit den aktuellen Quartalszahlen und lassen uns dabei schlecht aussehen.»

«Ja, mühsam», bestätigte Stalder, bevor er sich an den dritten Teil der Variation machte, eine Mini-Miso-Suppe mit Wakame und Shiitake-Pilzen.

«Ja, vor allem für mich als CEO, der seinen Kopf für alle und alles hinhalten muss!»

Stalder nickte.

«Und …? Was schlägst du vor …?», fragte Spalinger. «Du bist schliesslich für die Zahlen verantwortlich!»

Stalder war nicht unglücklich, dass der Kellner just in diesem Moment den Hauptgang servierte: Steinbutt auf mediterranem Gemüse.

«Ich habe eine super Idee», sagte er selbstzufrieden, als sich der Kellner wieder verzogen hatte. «Wir wechseln einfach die Rechnungslegung. Dann können sie uns nicht mehr vergleichen!»

«Hallo …!», erwiderte Spalinger harsch, «das haben wir vorletztes Jahr schon gemacht.»

Stalder rümpfte die Nase und begann lustlos, seinen Steinbutt zu zerlegen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er etwas Unverständliches vor sich hin brummte.

«Was sagst du?», fragte Spalinger genervt.

«Und wenn wir etwas Grösseres dazukaufen?», sagte Stalder nun ein wenig lauter, während er sich mit der Stoffserviette die ersten Schweisstropfen von der Stirn wischte.

«Womit? Hast du unsere Eigenkapitaldecke auch wieder einmal angeschaut?», bemerkte Spalinger noch ein wenig harscher als zuvor und schüttelte heftig den Kopf. Er konnte kaum fassen, was sein Finanzchef da von sich gab.

Total unfähig, der Mann, und auch völlig uninspirierend für sein Umfeld, dachte Spalinger.

«Wir zwei Schnelldenker werden doch wohl noch eine Lösung finden», sagte er stattdessen mit einem schiefen Lächeln. Dann hob er seine rechte Hand und gab dem Kellner ein Zeichen.

Und so wurde aus einem gewöhnlichen Businesslunch der obersten Führungsriege letztlich ein richtiger Strategie-Workshop, bei dem auch Finanzchef Stalder allmählich die Erwartungen seines Vorgesetzten zu erfüllen vermochte. Kurz vor halb fünf, nach einer angefangenen vierten Flasche Château Latour, waren auf seiner Stoffserviette immerhin skizzenhaft die ersten Eckpfeiler einer nachhaltigen Problemlösung zu sehen. Und nur fünfundvierzig Minuten und je zweieinhalb Verdauungsschnäpse später waren die Schweiss- und Fettflecken auf Stalders Serviette vor lauter Kästchen, Pfeilen und Namen fast nicht mehr zu erkennen.

Das Projekt bekam jetzt richtig Fahrt. Noch am gleichen Abend telefonierte Spalinger mit seinem Duzfreund Konrad «Koni» Bernauer, dem obersten Chef eines grossen, international tätigen Beratungsunternehmens. Und schon am darauffolgenden Montag verkündete die Bank Rupp & Cie die grösste Reorganisation in ihrer über 150-jährigen Firmengeschichte.