Buchtipp – Jenny Erpenbeck: «Gehen, ging, gegangen»

Mit «Gehen, ging, gegangen» ist der (ursprünglich Ost-)Berliner Autorin Jenny Erpenbeck ein Roman gelungen, den man trotz des schwierigen Themas gerne liest – ein sorgfältig recherchierter Tatsachenroman über gegenseitiges Verständnis. Das zentrale Thema Migration hat seit dem Erscheinen des Buches 2015 (leider) nichts an Aktualität verloren.

Beginnt man das Buch ganz unvoreingenommen und ohne Hintergrundinformation zu lesen, fragt man sich eingangs vielleicht, worum es hier eigentlich geht. Der Klappentext – ein Auszug aus dem Passus von Flüchtlingen in Hungerstreik – verrät nicht viel. Aber mit dem Hin und Herwechseln zwischen verschiedenen Erzählsträngen ist sofort Zug in der an sich unspektakulären Geschichte, und sie nimmt einen gleich gefangen.

Protagonist ist (abgesehen von den Flüchtlingen) ein Professor für Alte Sprachen, dessen erste Tage in Ruhestand beschrieben werden. Eigentlich ist es ein Zufall, dass Richard in der Zeitung über die Protestaktion einer Gruppe Schwarzafrikaner in Berlin liest. Weil er als verwitweter, kinderloser und von der Geliebten verlassener emeritierter Professor von einem Tag auf den anderen viel Zeit hat, will er seinem Naturell entsprechend, die Hintergründe erforschen. Er startet eine fundierte Recherche, bei der er ob seiner Bedächtigkeit fast die Auflösung des Zeltlagers am Oranienplatz verpasst hätte.

Unglaublich stark, wie die Autorin die Naivität eines an Intelligenz, Bildung und Erfahrung reichen Menschen und seine Bereitschaft, selbstkritisch alle Vor­urteile zu revidieren sowie seine Bemühungen, die Flüchtlinge zu verstehen, beschreibt. In schlichter, schöner Prosa, unaufgeregt erzählt Jenny Erpenbeck die übrigens wahre Geschichte der Männer vom Oranienplatz. Obwohl das sehr bewegend ist, appelliert der Roman nicht vordergründig an das Mitleid des Lesers, sondern erzeugt Verständnis – ein reflektierter und darüber hinaus durchaus unterhaltsamer Beitrag zur nach wie vor hochaktuellen Flüchtlingsdebatte.

Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen, Knaus, 352 Seiten,