Nahost-Krise: Wie sich die Ölpreisentwicklung auf die Finanzmärkte auswirkt

Der Konflikt im Nahen Osten hat in den letzten Tagen zugespitzt. Aus Anlegersicht lautet die wichtigste Frage, die man sich in Situationen erhöhter geopolitischer Risiken wie dieser stellen muss: Welche Auswirkungen könnte dies auf die Inflation, die Zinssätze und das Wirtschaftswachstum haben? Die Ölpreise sind in letzter Zeit auf mehr als 80 US-Dollar pro Fass Rohöl der Sorte Brent gestiegen, auch wenn sie mittlerweile wieder etwas nachgegeben haben. Der jüngste Anstieg deutet darauf hin, dass die Anleger angesichts der Auswirkungen, die der Konflikt auf die Ölversorgung haben könnte, vorsichtig werden.

Erstens ist die Dynamik von Angebot und Nachfrage für 2025 derzeit ziemlich ausgeglichen, wenn man den Vorschlag der OPEC ausser Acht lässt. Die niedrigeren Zinssätze in den Industrieländern und die jüngsten Konjunkturmassnahmen in China könnten die Nachfrage ankurbeln, aber das Nachfragewachstum wird voraussichtlich durch geringfügige Produktionssteigerungen bei verschiedenen Produzenten aufgefangen werden. Die OPEC verfügt jedoch über beträchtliche Kapazitätsreserven, nachdem sie in den letzten Jahren das Angebot reduziert hat, um die Preise angesichts der schwachen Nachfrage zu stabilisieren. Diese Angebotskürzungen haben dazu geführt, dass die OPEC Marktanteile verloren hat, vor allem an die USA, und sie plant, ab Dezember dieses Jahres wieder zusätzliche Fördermengen bereitzustellen. Die Kapazitätsreserven der OPEC sind derzeit mit etwa fünf bis sechs Millionen Fässer Rohöl pro Tag sehr hoch, und das bei einer weltweiten Ölnachfrage von 102 Millionen Fässer Rohöl pro Tag. Das könnte bedeuten, dass sich ein erheblicher Überschuss an Öl anbahnt.

Der Ölpreis müsste aber über 100 US-Dollar pro Barrel steigen und über einen längeren Zeitraum dort bleiben, damit sich die Inflationsaussichten wesentlich ändern oder die Zentralbanken unter Druck gesetzt werden, ihre derzeitige Zinspolitik zu ändern.

David Rees, Senior Emerging Markets Economist, Schroders

Eine Sorge für Investoren ist das Risiko, dass Israel die iranische Kharg-Ölanlage im Persischen Golf angreifen könnte. Der Grossteil der 1,7 Millionen Fässer Rohöl pro Tag, die der Iran exportiert, stammt aus dem Kharg-Ölterminal. Es ist eines der grössten Ölterminals der Welt und wurde während des iranisch-irakischen Krieges in den 1980er Jahren vom Irak angegriffen und beschädigt. Das Kharg-Ölterminal ist die Achillesverse, wenn Israel die Fähigkeit des Irans, Öl zu exportieren, beeinträchtigen wollte. Und sie könnten argumentieren, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist, da die freien Kapazitäten der OPEC den Verlust von iranischem Öl ausgleichen könnten.

Kritische Engpässe: Was passiert, wenn die Strasse von Hormuz blockiert wird?
Wenn Israel jedoch Öl als Waffe einsetzt, indem es das Kharg-Ölterminal ausschaltet, besteht die Möglichkeit, dass der Iran Vergeltung übt und beispielsweise die Strasse von Hormuz unterbricht. Die Strasse von Hormuz liegt vor der iranischen Küste und ist ein sehr flaches Gewässer mit schmalen Schifffahrtskanälen, die in jeder Richtung zwei Meilen breit sind. Etwa 20 Prozent des gesamten verschifften Öls fliesst durch diesen strategischen Engpass. Greift Israel die iranischen Öleinrichtungen auf der Insel Kharg an, könnte der Ölpreis auf etwa 85 bis 90 US-Dollar pro Fass Rohöl steigen, was für die Märkte erträglich wäre. Aber sobald der Iran andeutet, dass er in der Strasse von Hormuz etwas unternehmen wird, dürfte der Ölpreis sprunghaft nach oben klettern. Es ist kein unrealistisches Szenario, dass der Ölpreis wieder auf sein Allzeithoch von 147 US-Dollar steigen könnte, da der Markt dann möglicherweise 20 Prozent seines Angebots verlieren würde.

Man mag sich fragen, warum der Iran die Strasse von Hormuz schliessen will, da dies seine eigenen Exportmöglichkeiten beeinträchtigen würde. Aber wenn ihr Ölterminal durch militärische Angriffe Israels ausser Betrieb gesetzt wurde, werden sie ohnehin kein Öl mehr exportieren. Ausserdem müssen sie nicht unbedingt die gesamte Strasse von Hormuz sperren, sondern könnten Angriffe auf Öltanker starten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die OPEC über erhebliche Kapazitätsreserven verfügt, aber gleichzeitig das Risiko einer schwerwiegenden Versorgungsunterbrechung zunimmt. Und es wird ein Balanceakt zwischen diesen beiden Kräften sein, der die Richtung der Ölpreise bestimmen wird.»

Das ist nicht unser Basisszenario, aber wir modellieren seit einem Jahr ein Wirtschaftsszenario für einen «Krieg im Nahen Osten». Es handelt sich um ein Szenario mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber grosser Auswirkung. Als wir es zum ersten Mal modellierten, gingen wir davon aus, dass es das globale Wachstum etwas dämpfen würde. Dieses Szenario wirkt sich im Rest der Welt hauptsächlich über den Ölpreis aus, der die Inflation im Vergleich zu unserem Basisszenario in die Höhe treiben würde. Und in diesem Szenario würden die Ölpreise deutlich über 100 US-Dollar auf etwa 150 US-Dollar pro Barrel steigen. Bisher hat der Ölpreis jedoch Schwierigkeiten, die 80-US-Dollar-Marke pro Barrel zu durchbrechen. Der Ölpreis müsste aber über 100 US-Dollar pro Barrel steigen und über einen längeren Zeitraum dort bleiben, damit sich die Inflationsaussichten wesentlich ändern oder die Zentralbanken unter Druck gesetzt werden, ihre derzeitige Zinspolitik zu ändern.

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