Die Inflation wird sinken – doch die Zinsen bleiben hoch

Nachdem sie Ende 2022 noch verhalten war, fällt unsere Wirtschaftsprognose heute optimistischer aus. Angesichts der fallenden Erdgaspreise haben sich die Aussichten für das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich und in Europa deutlich verbessert. Gleichzeitig dürfte die niedrigere Inflation das Vertrauen der europäischen Konsumenten stärken und sie dazu bewegen, ihr während der Covid-Krise angespartes Kapital endlich auszugeben. Denn die Aussicht auf explodierende Energiepreise hat den europäischen Verbrauchern dermassen Angst eingejagt, dass sie ihr Sparverhalten noch steigerten – im Gegensatz zu den zuversichtlicheren US-Konsumenten, die ihre «Covid-Sparschweine» viel eher geleert haben.

Die Inflation im Vereinigten Königreich und in Europa dürfte bis Jahresende auf ungefähr 3% fallen. Besonders für das Vereinigte Königreich dürften die Auswirkungen dieser Entwicklung erheblich sein. Wir erwarten, dass Finanzminister Jeremy Hunt die für April angesetzte Erhöhung der Energiepreisobergrenze auf 3‘000 Pfund zurücknimmt, und selbst die derzeitige Preisobergrenze von 2‘500 Pfund dürfte ab Juli ihre Verbindlichkeit verlieren. Denn die tatsächlichen Preise könnten sich auf 2‘000 Pfund einpendeln – ein Betrag, der zwar viel höher ist als vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, jedoch viel niedriger ausfällt, als ursprünglich befürchtet. Grund ist nebst dem mildem Wetter auch die günstige Dynamik von Angebot und Nachfrage. Diese hat dazu geführt, dass sich auch die Gaspreise für den nächsten Winter sowohl in Europa als auch im Vereinigten Königreich seit Anfang Dezember halbiert haben.

Bedeutet eine niedrigere Inflation auch niedrigere Zinsen? Leider nein. Da die Auswirkungen der steigenden Energiepreise nachlassen, wird im Umkehrschluss die Lohninflation stärker.

Steven Bell, Chief Economist, Columbia Threadneedle

Dies komme auch den Haushaltsdefiziten zugute. Deutschland hat für sein Energiepreissystem sagenhafte 200 Milliarden Euro – 5% seines Bruttoinlandsprodukts – bereitgestellt, dürfte aber nur einen Bruchteil davon ausgeben. Dank der sehr erfolgreichen nationalen Kampagne zur Senkung des Strom- und Gasverbrauchs um 20% hat die Nachfrage in Deutschland stark nachgelassen. Als grösster europäischer Markt hat das Land so die Preise für alle gedrückt.

Zinsen bleiben hoch
Bedeutet eine niedrigere Inflation auch niedrigere Zinsen? Leider nein. Da die Auswirkungen der steigenden Energiepreise nachlassen, wird im Umkehrschluss die Lohninflation stärker – und die Bank of England und die Europäische Zentralbank müssen die Geldpolitik straff halten. Es ist zwar möglich, dass die Rezession auf dem britischen Immobilienmarkt zu höherer Arbeitslosigkeit führt und der britischen Notenbank die Arbeit abnimmt. Aber ich denke, dass die Abschwächung der Krise bei den Lebenshaltungskosten dies ausgleichen wird. Die Lohninflation, die in Europa relativ niedrig war, hat sich in letzter Zeit deutlich beschleunigt. Zwar sind auch die Hypothekarzinsen im Euroraum gestiegen, jedoch wirken sie sich hier bei weitem nicht so dramatisch aus wie im Vereinigten Königreich. Auch die verbesserten Aussichten für das globale Wachstum kommen Europa zugute – und diese sind besser als erwartet. Ich dachte, die USA wären inzwischen in der Rezession, aber die jüngsten Daten zu Verbraucherausgaben und Beschäftigung waren bemerkenswert gut. Auch China geniesst die Auswirkungen der Lockerungen seiner Covid-Lockdowns. Ich erwarte Menschenschlangen chinesischer Touristen vor den Luxusgeschäften wie Louis Vuitton in Paris und mehr amerikanische Akzente auf den Golfplätzen in Schottland.

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