Hohes KGV: Was tun, wenn alles zu teuer geworden ist?

Wir sollten uns eines eingestehen: Die Märkte sind teuer. Doch was bedeutet das für die Investoren? Zwei Lektionen dazu.

Die Höhe der Bewertung eines Marktes ist ein guter Indikator für das langfristige Ertragspotenzial, aber ein schlechtes Instrument zur Beurteilung dessen kurzfristigen Performance. Unter Verwendung des Shiller KGV, ist es bei den aktuellen Bewertungen sehr wahrscheinlich, dass die zehnjährige Wertentwicklung des US-Markts nahe bei null liegt. Die europäischen Märkte könnten hingegen wegen der aktuell niedrigen Bewertung höher sein. Die Untersuchung derselben Daten zeigten dagegen, wie die aktuell vergleichbaren Bewertungen historisch gesehen, im Folgejahr zu extrem unterschiedlichen Marktentwicklungen führten: von kräftigen Kursgewinnen bis hin zu spürbaren Kurseinbrüchen.

Erste Lektion: Chancen auf eine mittel- bis langfristig starke Performance des Indexmanagements vom aktuellen Niveau aus sind sehr gering
Das nächste Jahrzehnt wird denjenigen gehören, die es schaffen, den Markt zu übertreffen, also dem aktiven Management. Im Wirtschaftsjargon ist es die Generierung von «Alpha», das ein Treiber der langfristigen Performance sein kann, und nicht «Beta», also der Markttrend.

Zweite Lektion: andere Indikatoren sollten als die Bewertung benutzt werden, um sich ein Bild der kurzfristigen Marktperspektiven zu machen
Aus dieser Sicht ist der Ansatz im Grunde derselbe wie bei der Generierung von Alpha: Man bestimmt die vorherrschende Meinung, die sich durch die Positionierung der Mehrheit der Investoren ablesen lässt und investiert vor allem dort, wo man es mit ausreichender Überzeugung schafft, eine vom Konsens abweichende Meinung zu bilden.

Zurückhaltend zu sein, wenn alle anderen optimistisch sind, ist schwierig, aber oft gesund.

Didier Saint-Georges, Carmignac

Die Umfragen unter Investoren kennzeichnen in diesem Fall heute generell ein hohes Mass an Optimismus. Diese Tatsache ist der Beschleunigung der Impfkampagnen und den konjunkturellen Hilfsprogrammen, insbesondere in den USA, zuzuschreiben. Dies hat zu einer besonders hohen Positionierung in zyklischen Aktien und einer Enttäuschung für Wachstumswerte geführt. Bei näherer Betrachtung wird diese Ablehnung durch teilweise sehr konservative Annahmen über die Ertragskraft grosser Technologiewerte verstärkt. Die Wahrnehmung regulatorischer und rechtlicher Risiken betrifft derzeit die symbolträchtige «GAFAM»-Gruppe. Einige Investoren vergessen scheinbar, dass diese Unternehmen nicht nur über ein sehr robustes wiederkehrendes Wachstumspotenzial verfügen, das sie im Falle eines enttäuschenden Wirtschaftswachstums schützt, sondern auch Nutzniesser eines Konjunkturaufschwungs sein werden, insbesondere über ihre Werbeeinnahmen.

Aus diesen kurzen Überlegungen kann man zweierlei schliessen: Zunächst mahnt der allgemeine Enthusiasmus die Investoren zur Vorsicht. Zurückhaltend zu sein, wenn alle anderen optimistisch sind, ist schwierig, aber oft gesund. Wenn man also davon überzeugt ist, dass bestimmte grosse Technologiewerte ein langfristiges Gewinnwachstumspotenzial versprechen, das vom Markt unterschätzt wird, und dass auf kürzere Sicht die Enttäuschung über zyklische Aktien übertrieben ist, dann bieten diese grossen Wachstumswerte jetzt attraktive Einstiegsniveaus. Ein Blick auf die Bewertung ist immer nützlich, und der spekulative Enthusiasmus der vergangenen zwölf Monate führte offensichtlich zu überhöhten Bewertungen bei einigen Titeln, die im Trend lagen. Da die aktuelle Phase eine ist, in der die Bewertungen tendenziell komprimiert sind, täte man gut daran, sich vor solchen Exzessen in Acht zu nehmen. Aber es ist sicher nicht der Bewertungsfilter allein, der es heute ermöglicht, bei der Aktienauswahl besonders effektiv zu sein.

Didier Saint-Georges ist Mitglied des Strategic Investment Committee und Managing Director beim unabhängigen Vermögensverwalter Carmignac. Er ist dort seit 2007 tätig. Seine Karriere begann Saint-Georges 1983 bei der Citibank. Zehn Jahre lang war er auch für JP Morgan in London, Paris und New York tätig. Bildnachweis: Carmignac
Hauptbildnachweis: Unsplash