White Collar – Mitarbeiterbeurteilung
«White Collar» ist unsere jüngste Satire-Kolumne über (Un-)Sinnigkeiten aus der Geschäftswelt. In der zweiten Folge widmet sich der Autor Andreas Hönger einer wichtigen Vorgesetztendisziplin: der Mitarbeiterbeurteilung.
Balz Böhni und Frédéric Fontana treffen sich zur alljährlichen Performance Review (Mitarbeiterbeurteilung). Da man sich um ein angenehmes Gesprächsklima zu einem unangenehmen Thema (jedenfalls ist Balz Böhni sehr nervös) bemüht, duzt man sich (auch sonst, aber jetzt besonders fest).
Balz: Guten Morgen Fred (Frédéric hat seinen Vornamen nie gemocht; er findet ihn zu distinguiert. Fred hingegen gefällt ihm gut, gerade in der Finanzbranche, weil er irgendwie lässig ist und ihn auch die Angelsachsen auf Anhieb richtig aussprechen können).
Fred: Morgen Balz. How's life?
Balz: Sehen wir dann nach diesem Gespräch.
Fred: Du hattest es während des letzten Jahres selbst im Griff, eine gute Leistung zu bringen.
Balz: Ich schon, du auch?
Fred: Wie waren deine Ferien?
Balz: Sehr gefreut, dieses Resort, das du empfohlen hast.
Fred: Gell, schön und all inclusive ist auch flauschig.
Balz: Der Sassicaia war ausgezeichnet. Gut, das gab zwar einen Aufpreis zum all inclusive, aber immer noch sehr günstig mit 100 mehr.
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)Wenn man einen Menschen richtig beurteilen will, so frage man sich immer: Möchtest du den zum Vorgesetzten haben?
Fred: Den Petrus, den ‘07er, habt ihr nicht probiert?
Balz (verlegen, weil er diesen Wein weder auf der Karte gesehen noch probiert hat): Ehm, nein, der war wohl ausgetrunken.
Fred: Sehr schade! Der ist der Hammer und nur 900 zusätzlich die Flasche. Ein Schnäppchen; den kriegst du nicht unter 2’900 im Handel (jetzt wusste Balz auch, warum er diesen Wein nicht gesehen hatte – er war wohl bei den sehr teuren Raritäten hinten in der Karte gelistet gewesen). Wir haben eine Kiste davon getrunken. Offenbar die Letzte, haha. Und, wieder gut gestartet?
Balz: Ja, volle Kanne. Bin übrigens mit meiner neuen Errungenschaft (Porsche 911 Carrera, 385 PS, 0-100 in 4.2 Sec) gekommen.
Fred: Was? Den hast du schon bekommen?
Balz: Grad nach dem Flieger zum Importeur VIP First, zwei Stunden nach der Landung schon auf Tour.
Fred: Krass! Freut mich. Trotzdem würde ich meinen DB11 (Aston Martin, DB11 AMR, 639 PS, 0-100 in 3.7 Sec) nicht mehr hergeben. Hat einfach mehr Stil. Und ist exklusiver.
Balz: Freue mich schon auf unseren Rennausflug zum Nürburgring.
Fred: Ja, da musst du dann ausgeschlafen antreten! Grüne Hölle Nordschleife, sag ich nur. Wie gehts der holden Gattin?
Balz: Danke, bestens. Hat ihr auch sehr gefallen auf den Malediven; und besonders der Schmuck im Duty Free.
Fred: Happy wife, happy life. Nun zu deiner Mitarbeiterbeurteilung.
Balz: Oha.
Fred: Habe mir die Gausssche Normalverteilung angesehen. 15% Top Performer, 70% Solid Performer, 15% Low Performer. Und wenn ich den Bonustopf und deinen letztjährigen, hohen Boni ansehe, müsstest du es zu den seltenen Top Performern schaffen, wenn du wieder eine ähnliche Total Compensation erreichen willst.
Balz: Aber ich bin doch Spitze.
Fred: Okay, Top Performer.