Satire: Bank Rupp & Cie – Morgenlektüre

Inside Bank Rupp & Cie (bæŋkrʌptsi) ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema Morgenlektüre.

Staumeier ist wahrlich kein Schlaumeier ...», zitierte er plötzlich halblaut einen der Kommentare, «… von Anna Blume.

Melanie «Mel» Schnyder hatte ihren Computer bereits hochgefahren und auch schon die Lippen nachgezogen, als Chief Operating Officer Reto B. Meier lauten Schrittes ins Vorzimmer stürmte. Augenscheinlich aufgebracht, öffnete er seinen Mund und schnappte nach Luft, ohne jedoch etwas von sich zu geben.

Er erwiderte den herzlichen Morgengruss seiner Assistentin mit einem mässig freundlichen Kopfnicken. Danach drehte er sich energisch ab und verschwand wieder in seinem Büro, um nach wenigen Minuten, mit einem Bündel Papier in der Hand, erneut im Sekretariat zu erscheinen, wo Mel Schnyder jetzt mit der Beantwortung einer privaten Mail beschäftigt war.

Nachdem sie ihren Chef in den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, schloss sie die Nachricht und verschob einen grösseren Stapel Unterlagen und Prospekte geschäftig von der linken auf die rechte Seite ihres Schreibtisches. Dann schaute sie mit gespielter Überraschung hoch zu Meier, der sich in der Zwischenzeit breitbeinig vor ihrem Schreibtisch postiert hatte.

«Eine verdammte Schweinerei ist das!», verpackte er seine Gemütslage nun in Worte, während er wild mit den bedruckten Blättern umherwedelte.

Mel Schnyder starrte ihn mit grossen Augen an. Abgesehen von den üblichen Patzern und Flüchtigkeitsfehlern kam ihr im Augenblick nichts Erwähnenswertes in den Sinn. Wirklich nicht! Sie fühlte sich daher erst zu einer Nachfrage bemüssigt, als Meier die Schimpftirade wiederholte.

«Was meinen Sie?», fragte sie vorsichtig, den Blick auf ihre perfekten, korallenfarbenen Fingernägel gerichtet.

«Haben Sie nicht gelesen, was heute im Internet über mich geschrieben steht?»

Mel Schnyder war erleichtert, unschuldig schüttelte sie den Kopf.

«Ist ja normalerweise das Erste, womit sich die unteren Chargen in unserer Bank am Morgen beschäftigen», sagte Meier mit gequältem Grinsen.

«Ein reiner Verwalter sei ich, steht da drin», sprach er hörbar verärgert und streckte den ausgedruckten Artikel theatralisch in die Höhe, «... ohne Durchsetzungsvermögen und Visionen.»

Mel Schnyder zuckte mit den Schultern. «Machen Sie sich nichts draus, dieses journalistische Geschreibsel nimmt doch ohnehin niemand ernst …», sagte sie, worauf Meiers kugelrunder, schon im Normalzustand meist hochroter Kopf noch ein Stück an Farbe gewann.

«Frau Schnyder», brüllte er, «hier geht es doch nicht um mich.» Er verschränkte seine Arme und schüttelte heftig den Kopf, bevor er etwas leiser weitersprach. «Was denken Sie auch, mir geht es einzig und allein um den Ruf der Bank!»

Da Meier sie weiterhin anstierte, musste Mel Schnyder halt ein bisschen schwindeln. «Sowas Freches!», sagte sie darauf, obschon Hinz und Kunz und auch alle anderen darüber Bescheid wussten, dass Chief Operating Officer Meier noch nie etwas zum Fliegen gebracht hat. Von Innovationen ganz zu schweigen!

Doch Meier ignorierte ihren Zuspruch und vertiefte sich wieder in die Lektüre, bei der er schon bald auf den Teil mit den Lesermeinungen stiess.

«Staumeier ist wahrlich kein Schlaumeier ...», zitierte er plötzlich halblaut einen der Kommentare, «… von Anna Blume.»

Meier sprach den Namen ein zweites und sogar ein drittes und viertes Mal aus. Dann schüttelte er einmal mehr verständnislos den Kopf. Er tippte auf einen seiner Kollegen aus der Geschäftsleitung, der er spontan und in corpore einen wüsten Kraftausdruck widmete.

Mel Schnyder hatte beim Zitat einen regelrechten Hustenfanfall vortäuschen müssen, um ihr Lachen zu unterdrücken. Die Hand an den Mund gepresst, schaute sie jetzt ängstlich zu Meier, der, höchst empathisch mit sich selbst beschäftigt, den kleinen Zwischenfall nicht zu bemerken schien. Auf und ab, hin und her suchten seine Augen unablässig nach weiterem Ungemach.

Und so dauerte es, bis Meier schliesslich zu einem Ende kam und wortlos in sein Office zurücktrottete. Mel Schnyder hatte schon befürchtet, den allmorgendlichen Anruf ihrer besten Freundin zu verpassen.

«Blümchen, ist bei dir alles in Ordnung?», fragte diese besorgt, als Mel Schnyder nach zwei Minuten noch immer in den Hörer kicherte.